Kommt es dazu, dass ein freier Mitarbeiter – durch eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung als Arbeitnehmer eingestuft wird (Scheinselbständigkeit), so kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer das zu viel gezahlte Honorar zurückverlangen. Der Rückforderungsanspruch bezieht sich dabei auf die Differenz zwischen tatsächlich gezahlter und üblicher Vergütung im Sinne von § 612 BGB. Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass das für die freie Mitarbeit vereinbarte Honorar auch für den Arbeitnehmerlohn ausschlaggebend ist. Dies entschied jüngst das BAG (Entscheidung v. 26.06.2019, 5 AZR 178/18).
Arbeitnehmer leitete nach Kündigung Statusfeststellungsverfahren ein
Der Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin acht Jahre lang – zunächst nur aufgrund mündlicher Vereinbarung – als freier IT-Mitarbeiter beschäftigt gewesen. Das Honorar betrug zu Beginn EUR 28,12 pro Stunde und steigerte sich schrittweise auf EUR 60,00 pro Stunde. Nachdem die Arbeitgeberin das Vertragsverhältnis gekündigt hatte, leitete der Arbeitnehmer ein sogenanntes freiwilliges Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) ein. Er beantragte die Feststellung, dass es sich bei seiner Tätigkeit um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis mit voller Sozialversicherungspflicht gehandelt habe. Dem Antrag gab die DRV Bund statt und die Arbeitgeberin hatte für volle vier Jahre die Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen (Gesamtsozialversicherungsbeiträge i.H.v. insgesamt EUR 6.007,25).
Arbeitgeberin forderte vom Arbeitnehmer über EUR 100.000,00 zurück
Die Arbeitgeberin erhob nach Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge Klage gegen den Arbeitnehmer und forderte diejenige Vergütung zurück, die sie aufgrund der fehlerhaften Einschätzung des Vertragsverhältnisses zu viel gezahlt hatte. Aufgrund der Einstufung als Arbeitsverhältnis hätte dem Arbeitnehmer lediglich die übliche Vergütung eines vergleichbaren Arbeitnehmers, und nicht eines freien Mitarbeiters, zugestanden. Nachdem die ersten beiden Instanzen die Klage abgewiesen hatten, gab nunmehr das BAG der Arbeitgeberin Recht.
Freie Mitarbeit wird aufgrund des geringeren Schutzes höher vergütet
Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer, den die Parteien fälschlicherweise als freien Mitarbeiter eingeordnet haben, die Differenz zwischen der tatsächlich gezahlten und der üblichen Vergütung an den Arbeitgeber zurückzuzahlen (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB). In dieser Höhe ist der Arbeitnehmer ungerechtfertigt, d. h. ohne Rechtsgrund, bereichert. Für die Höhe der dann maßgeblichen üblichen Vergütung für den Arbeitnehmer ist entscheidend, ob die vereinbarte Vergütung unabhängig von der rechtlichen Einordnung des bestehenden Vertrages geschuldet oder eben gerade an diese geknüpft ist. Das BAG hat nunmehr entschieden, dass die für einen freien Mitarbeiter ausdrücklich getroffene Vergütungsvereinbarung nicht ohne weiteres auch im Arbeitsverhältnis als maßgeblich angesehen werden kann. Denn die Vergütung von Personen, die im Rahmen eines Dienstvertrags selbständige Tätigkeiten erbringen, soll typischerweise zugleich Risiken abdecken, die der freie Mitarbeiter – anders als ein Arbeitnehmer – selbst trägt (Mindesturlaub, Feiertagsvergütung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutzgesetz etc.).
Zweifel am Status schließt Rückforderungsanspruch nicht aus
Der Rückzahlungsanspruch der Arbeitgeberin kann jedoch entfallen, wenn die Arbeitgeberin wusste, dass sie nicht zur Zahlung des erhöhten Honorars verpflichtet war. Hierbei genügt es jedoch nicht, dass die Arbeitgeberin Zweifel an der Einordnung des Rechtsverhältnisses als freies Dienstverhältnis hegte, vielmehr muss die Arbeitgeberin aus diesen Tatsachen eine rechtliche Schlussfolgerung in Bezug auf das Vertragsverhältnis ziehen. Hierfür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig.
Praxistipps: Verjährung beachten
Der Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Die Verjährungsfrist beginnt grundsätzlich dann, wenn der Gläubiger von den Anspruch begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. In Fällen der vorliegenden Art geht das BAG davon aus, dass der Arbeitgeber die Überzahlung i.d.R. erst im Zeitpunkt einer rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung oder außergerichtlichen Klärung des Arbeitnehmerstatus erkennen kann. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass gemäß der Rechtsprechung des EuGH für die gesamte Vertragslaufzeit Urlaub zu gewähren bzw. im Falle der Beendigung des Vertragsverhältnisses abzugelten ist. Dieser Anspruch des Arbeitnehmers unterfällt jedoch nicht den gesetzlichen Verfallsfristen.
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