Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 25.08.2015 in zwei Parallelverfahren (Az.: 1 AZR 754/13, 1 AZR 875/13) über die Frage entschieden, ob Unternehmen, die von Arbeitskämpfen mittelbar betroffen sind, Schadensersatzansprüche gegen die streikführende Gewerkschaft geltend machen können. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Gewerkschaften hierfür grundsätzlich nicht haftbar gemacht werden können. Eine Ausnahme wird wohl nur bei offensichtlich rechtswidrigen, unverhältnismäßigen Arbeitskämpfen oder bei Streikmaßnahmen, die sich unmittelbar (auch) gegen den Betrieb eines an sich unbeteiligten Dritten richten, angenommen werden können.
Die Fälle
Vier Fluggesellschaften forderten Schadensersatz von der Gewerkschaft der Flugsicherung e.V. (GdF). Im ersten Fall ging es um einen gut fünfstündigen Unterstützungsstreik der bei der GdF organisierten und bei der Deutschen Flugsicherung GmbH (DFS) beschäftigten Fluglotsen am Flughafen Stuttgart. Unterstützt wurde der Hauptarbeitskampf, den die GdF gegen die Betreibergesellschaft des Flughafens Stuttgarts für dessen Mitarbeiter in der Vorfeldkontrolle / Verkehrszentrale führte. Durch Flugausfälle wurde zunächst ein Schaden in Höhe von ca. EUR 35.000,00 verursacht. Im zweiten Fall waren Schäden in Millionenhöhe aus der bloßen Ankündigung eines Streiks entstanden, der unmittelbar vor seinem Beginn wieder abgesagt worden war. Schon der Streikaufruf der Gewerkschaft hatte aber die Erstellung von Notfallplänen durch die Airlines notwendig gemacht und führte zur Stornierung einer Vielzahl bereits gebuchter Flüge ab Stuttgart. Zudem wurden eine umfangreiche personelle Neudisposition und die Inanspruchnahme anderer Flughäfen veranlasst.
Die Entscheidungen
Nachdem bereits die Vorinstanzen die Klagen abgewiesen hatten, konnten die Airlines auch die Richter beim BAG in Erfurt nicht davon überzeugen, dass sich die GdF durch ihre Arbeitskampfmaßnahmen schadensersatzpflichtig gemacht habe. Das BAG hat sowohl eine Eigentumsverletzung durch erhebliche Nutzungsbeeinträchtigung an den Flugzeugen als auch einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Fluggesellschaften verneint. Dies ist mit Blick auf das deutsche Schadensersatzrecht nicht einmal überraschend gewesen, denn Voraussetzung für Ersatzansprüche wären grundsätzlich unmittelbar gegen den Geschädigten gerichtete Handlungen des Schädigers gewesen. Diese Arbeitskampfmaßnahmen richteten sich aber gerade nicht gegen die Fluggesellschaften, sondern gegen den Flughafenbetreiber und die DFS. Dritten wird man einen Schadensersatzanspruch allenfalls dann zuerkennen können, wenn die Arbeitskampfmaßnahmen offensichtlich rechtswidrig sind oder sich (auch) direkt gegen ein nicht am Arbeitskampf beteiligtes Unternehmen richten. Diese Voraussetzungen waren in den vorliegenden Fällen nicht erfüllt, zumal in einem einstweiligen Verfügungsverfahren von einer Rechtmäßigkeit der Arbeitskampfmaßnahmen am Flughafen Stuttgart ausgegangen wurde. Folgerichtig hat das BAG auch keine Schadensersatzansprüche wg. vorsätzlich sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB angenommen.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidungen vom 25.08.2015 sind von wesentlicher Bedeutung für das Streikrecht. Für die Gewerkschaft standen erhebliche Haftungsrisiken im Raum, die sie unmittelbar in ihrer Existenz hätten bedrohen können und vor allem faktisch erhebliche Auswirkungen für künftige Streikmaßnahmen mit sich gebracht hätten. Wären die Gewerkschaften einem erhöhten Haftungsrisiko gegenüber unbeteiligten Dritten ausgesetzt, würde dies im Ergebnis dazu führen, dass allein aufgrund solcher kaum zu kalkulierenden Haftungsrisiken von Arbeitskampfmaßnahmen abgesehen werden müsste. Dies würde zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Arbeitskampfparität und damit zu einer Einschränkung der durch Art 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit führen.
Man kann sich sicherlich häufig des Eindrucks nicht erwehren, dass Gewerkschaften auch die Auswirkungen, die ihre Streiks auf die Allgemeinheit haben, dazu nutzen, um den Verhandlungsdruck auf den Tarifpartner zu erhöhen. Dies muss aber – solange der Gesetzgeber das Arbeitskampfrecht nicht normiert – hingenommen werden.