In Betrieben mit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmern ist der Arbeitgeber gemäß § 17 Abs. 1 KSchG verpflichtet, eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit zu erstatten, wenn er eine bestimmte Anzahl an Arbeitnehmern entlassen möchte. Das BAG hat dem EuGH nun zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob Leiharbeitnehmer bei den in § 17 KSchG normierten Schwellenwerten mitzuzählen sind (BAG v. 16.11.2017 – 2 AZR 90/17 (A)).

Arbeitgeber zeigte Entlassungen nicht an
Der beklagte Arbeitgeber beschäftigte nicht mehr als 120 Arbeitnehmer. Anfang November 2014 vereinbarte dieser mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich über die Schließung mehrerer Betriebe. In diesem Zuge kündigte er nicht nur der klagenden Arbeitnehmerin, sondern innerhalb eines Monats mindestens elf weiteren Arbeitnehmern. Eine Massenentlassungsanzeige wurde nicht erstattet. Die Arbeitnehmerin macht im Rahmen der von ihr erhobenen Kündigungsschutzklage geltend, dass es sich bei den Entlassungen um eine anzeigepflichtige Maßnahme nach § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KSchG handele, wonach der Arbeitgeber bei der Entlassung von 10 % der Belegschaft Anzeige zu erstatten habe. Durch die insgesamt zwölf Kündigungen sei der relevanten Schwellenwert erreicht, sodass die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung nach § 134 BGB unwirksam sei (BAG v. 20.02.2014 – 2 AZR 346/12). Der Arbeitgeber macht hingegen geltend, dass die eingesetzten Leiharbeitnehmer bei dem Schwellenwert Berücksichtigung finden müssen, sodass zum Zeitpunkt der Kündigungen insgesamt 124 Beschäftigte bei ihm tätig gewesen sind. Dann sei der Schwellenwert von 10 % der Belegschaft nicht erreicht, sodass es keiner Massenentlassungsanzeige bedurft habe.

BAG ersucht EuGH um Beantwortung von Auslegungsfragen
Die Vorinstanz verneinte die Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer bei den kündigungsrechtlichen Schwellenwerten im Rahmen von § 17 KSchG und hielt die Entlassung der Arbeitnehmerin für unberechtigt (LAG Düsseldorf v. 08.09.2016 – 11 Sa 705/15). Die Regelungen des § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG verfolge auch den individuellen Schutz des Arbeitnehmers vor dem Ausspruch einer Kündigung. Entlassungen im Betrieb eines Entleihers führten bei Leiharbeitnehmern aber gerade nicht zur Beendigung deren Arbeitsverhältnisse, da diese mit dem Verleiher fortbestünden.

Dieser Argumentation schloss sich das BAG jedoch nicht an, sondern legte dem EuGH die Frage vor, ob und gegebenenfalls unter welche Voraussetzungen Leiharbeitnehmer bei der Berücksichtigung des in § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG normierten Schellenwertes zu berücksichtigen sind. Grundlage dieses Vorabentscheidungsverfahrens ist die Massenentlassungsrichtlinie (Richtlinie 98/59/EG v. 20.7.1998), auf der die Vorschrift des § 17 KSchG basiert.

Praxishinweis
Die Beantwortung durch den Gerichtshof der Europäischen Union darf mit Spannung erwartet werden. Während der Gesetzgeber in § 14 Abs. 2 s. 4 AÜG ausdrücklich normiert hat, dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten im Entleiherbetrieb – mit Ausnahme des § 112a BetrVG – zu berücksichtigen sind, steht eine Klarstellung für die Schwellenwerte im Rahmen des § 17 KSchG noch aus. Höchstrichterlich geklärt ist hingegen, dass bei der Bestimmung der Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG im Betrieb eingesetzte Leiharbeitnehmer mitzuzählen sind, wenn mit ihnen ein regelmäßiger Beschäftigungsbedarf abgedeckt wird (BAG v. 24.01.2013 – 2 AZR 140/12).

Unter Mitarbeit von Tim Hamann.

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