Die weltweite COVID-19-Pandemie überrollt Europa mit rasender Geschwindigkeit. Heute finden sich Unternehmen, Gesellschaft und der Einzelne in einer Situation, die vor einer Woche nicht vorstellbar schien. Die Infektionslage ändert sich stündlich. Die ökonomische und soziale Atmosphäre, vor deren Hintergrund auch unternehmerische Entscheidungen zu treffen sind, ändert sich mindestens täglich. Der Versuch, Geschäft und in vielen Fällen die Existenz eines Unternehmens zu retten, stellt Gesellschafter, Geschäftsführer, Vorstände, Aufsichtsräte und Mitarbeiter aktuell und auf nicht absehbare Zeit vor immense Herausforderungen.

Heute, morgen und in den nächsten Wochen wird kaum ein Geschäftsführer, Vorstand oder Aufsichtsrat Zeit haben, sich mit Haftungsrisiken, die aus den jetzt zu treffenden Entscheidungenresultieren, zu befassen. Eins ist sicher (und wird durch alle Krisenerfahrungen, insbesondere aber durch die Aufarbeitung der Finanzkrise bestätigt): Nach Überwindung der COVID-19-Krise werden Entscheidungen, die während der Krise gefällt wurden, jedenfalls dann kritisch betrachtet und neu bewertet werden, wenn sie sich in der Rückschau als problematisch erweisen oder gar negative Folgen für das Unternehmen gehabt haben. Und es gilt: Hinterher ist man immer schlauer!

Selbstverständlich fragen sich alle Unternehmen in diesen Tagen, ob ihre Liquidität ausreicht, um kritische Wochen und Monate zu überstehen. Es sind Liquiditätspläne, Worst-Case-Szenarien und Finanzierungspläne zu entwickeln und zu unterlegen. Ad-hoc-Pflichten sind zu erfüllen, Vertragsbeziehungen und laufende Projekte zu prüfen und daraus handlungsleitende Schlussfolgerungen zu ziehen. Arbeitsrechtliche Maßnahmen sind in Erwägung zu ziehen, der Versicherungsschutz des Unternehmens muss geprüft und etwaige Versicherungsfälle zügig gemeldet werden. Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage, ob staatliche Hilfen, Steuerstundungen oder Entschädigungen in Anspruch genommen werden können, um das Unternehmen zu entlasten. Schlussendlich sind (verlängerte) Insolvenzantragspflichten und Zahlungsverbote nach Insolvenzreife zu beachten, um die persönliche Haftung zu vermeiden.

Wo inhaltliche Haftungsrisiken lauern - oder später als solche erscheinen -, ist individuell und nicht pauschal zu beantworten. Was aber bereits heute und in jedem Fall als Haftungsgefahr im Rahmen einer späteren Entscheidungsrevision auszumachen ist, ist Folgendes: Derzeit müssen Entscheidungen unter immensem Zeitdruck gefällt werden. Hinzu kommt, dass eigentlich zuständige Geschäftsführungs- und Vorstandsmitglieder vielleicht schwer zu erreichen sind. Ebenso können Aufsichtsgremien, Aufsichtsräte, Beiräte oder ähnliche Kollegien eventuell nicht tagen (von Videokonferenzen einmal abgesehen), nicht fristgerecht zusammengerufen werden oder sind vielleicht nicht entscheidungsfähig. Weitaus mehr Entscheidungsprozesse als in gewöhnlichen Zeiten verlaufen telefonisch und mündlich ab.

In all diesen Umständen lauern Haftungsgefahren aus formellen Gründen (Handeln eines nicht zuständigen Geschäftsführungsmitgliedes, Nichteinhaltung von Geschäftsordnungen, Nichtbeachtung von Zustimmungsvorbehalten, die für Aufsichtsräte, Gesellschafterversammlungen und/oder Beiräte vereinbart worden sind, Nichtbeachtung anstellungsvertraglicher Zustimmungsvorbehalte). Daher empfiehlt sich Folgendes:

  • Holen Sie die ggf. erforderlichen Gremien-Zustimmungen zu anstehenden Maßnahmen ein und stimmen Sie sich mit ihren Kollegen im Vorstand bzw. der Geschäftsführung ab;
  • Halten Sie Geschäftsordnungen, Vertretungsbefugnisse und Ressortverteilungen ein;
  • Versuchen Sie, Entscheidungsprozesse und Entscheidungen jedenfalls auch per E-Mail zu dokumentieren;
  • Halten Sie möglichst alle wesentlichen ökonomischen Parameter und wesentlichen Faktoren einer Entscheidung in Notizen fest;
  • Dokumentieren Sie den für wesentliche Entscheidungen eingeholten (Rechts)-Rat und ihre eigene Plausibilitätsprüfung;
  • Fertigen Sie von möglichst vielen telefonischen Abstimmungen mit Vorstands- und Geschäftsführungsmitgliedern, Beiräten, Aufsichtsräten und Gesellschaftern Notizen an.

Die Rekonstruktion von Situationen, die vielleicht Jahre später erforderlich ist, um darzulegen, dass eine unternehmerische Maßnahme pflichtgemäß war, ist immer ein sehr schwieriges Unterfangen. Jede verschriftlichte Erinnerung und Dokumentation kann in einigen Jahren wesentliche Impulse geben.

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