In bestimmten Fällen beginnt die zu vergütende Arbeitszeit am Wohnort des Arbeitnehmers. Das kann – muss aber nicht – beim Anlegen der Arbeitskleidung am Wohnsitz des Arbeitnehmers oder bei einer Dienstreise der Fall sein. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich in zwei jüngeren Entscheidungen vom 31.03.2021 (5 AZR 148/20; 5 AZR 292/20) mit Abgrenzungsfragen und in einer der Entscheidungen insbesondere damit zu befassen, welches Verhältnis zur Wegezeit besteht, wenn solche Zusammenhangtätigkeiten als zu vergütende Arbeitszeit gelten.

Der Fall

In der einen Entscheidung (5 AZR 148/20) hatte sich das BAG mit einem Wachpolizisten zu beschäftigen, der Vergütung für Zeiten geltend machte, die er für einen Umweg vor bzw. nach der Arbeit zum Aufsuchen eines dienstlichen Waffenschließfachs außerhalb des Dienstortes benötigte – er verwahrte die Dienstwaffe nicht an seinem Wohnort. In dem anderen Fall (5 AZR 292/20) lag die Besonderheit – anlässlich des Anlegens der Dienstwaffe und -kleidung eines Wachpolizisten, die er an seinem Wohnort zwischen den Schichten verwahrte – darin, dass die Möglichkeit bestand, einen Spind am Einsatzort zu beantragen und dort ein dienstliches Waffenschließfach zu nutzen, um dort und nicht am Wohnort die Dienstwaffe und -kleidung anzulegen.

Vergütungspflicht von Umkleide- und Reisezeiten

Das BAG legt die Maßstäbe für zu vergütende Umkleide- oder Reisezeiten an. In der Vergangenheit hatte die Rechtsprechung die Vergütung von Umkleide- und Reisezeiten am Tatbestand einer im Einzelfall festzustellenden Vergütungserwartung i.S.d. § 612 Abs. 1 BGB festgemacht (BAG vom 03.09.1997 – 5 AZR 428/96). Davon hat die Rechtsprechung inzwischen gefestigt Abstand genommen (BAG vom 18.03.2020 – 5 AZR 25/19; BAG vom 17.10.2018 – 5 AZR 553/17). Spätestens seit dem bekannten Entsendefall nach China (BAG BAG vom 17.10.2018 – 5 AZR 553/17) ist es ständige Rechtsprechung, dass jedwede Reisezeit vergütungspflichtig ist, wenn sie fremdnützig im Interesse des Arbeitgebers erfolgt. Über die Sachverhalte bei Berufskraftfahrern oder Außendienstmitarbeitern hinaus, bei denen Reisezeiten ohnehin zum Gesamtbild der geschuldeten Arbeitsleistung zählen, werden seitdem Reisezeiten zu einem auswärtigen Arbeitsort als fremdnützig betrachtet und damit der zu vergütenden Arbeitszeit zugeordnet. Der Arbeitnehmer erbringt die Reisetätigkeit nicht im eigenen Interesse, sondern ausschließlich im – fremden – Interesse des Arbeitgebers für die Erfüllung seiner Arbeitspflicht am Reiseziel. Die gleichen Erwägungen gelten letztlich für Umkleidezeiten, bei denen das Anlegen einer vom Arbeitgeber vorgeschriebenen bestimmten Arbeitskleidung in der Regel allein im Interesse des Arbeitgebers erfolgt (BAG vom 25.04.2018 – 5 AZR 245/17). Legt der Arbeitnehmer eine solche Arbeitskleidung an seinem Wohnort an, kann dies nur dann den Beginn der Arbeitszeit auslösen, wenn die Dienstkleidung besonders auffällig ist und der Arbeitnehmer diese – ohne Umkleidemöglichkeit im Betrieb – an seinem Wohnort anlegen muss (BAG a.a.O.). 

Abgrenzung zu Wegezeiten

Wegezeiten sind demgegenüber eigennützig. Der Arbeitsweg vom Wohnort zur Arbeitsstelle und zurück stellt keine Arbeitsleistung dar – er ist nicht fremdnützig, sondern zählt zur eigennützigen, privaten Lebensführung des Arbeitnehmers. Dem korrespondiert es, dass der Arbeitgeber diese Wegstrecke (beispielsweise mangels Bestimmbarkeit des Wohnortes des Arbeitnehmers) nicht steuern kann. Wegezeiten sind deshalb mangels Fremdnützigkeit keine Arbeit und nicht als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu behandeln (BAG vom 18.03.2020 – 5 AZR 25/19).

Zusammentreffen von Umkleide-/Reisezeiten und Wegezeiten

Bislang nicht abschließend geklärt war, wie mit Zusammentreffen von (ersparten) Wegezeiten mit Umkleide- oder Reisezeiten umzugehen ist. In der Praxis ist es faktisch gefestigte „best practice“, Regelungen zu treffen, wonach bei bestimmten grundsätzlich dienstlich veranlassten Wegen ein Abzug für ersparte Wegezeiten erfolgt. Beispielsweise bei Reisezeiten wird ein Abzug vorgenommen im Umfang der Zeit für die fiktive Wegstrecke, die der Arbeitnehmer vom Wohnort zum Betrieb ohnehin zurückzulegen hätte. 

Aber wie steht es juristisch mit dieser Praxis? Das war bislang unklar. Zumindest für den Zusammenhang mit dem Aufsuchen des Waffenschließfachs (5 AZR 148/20) hat das BAG dieses Vorgehen nun anerkannt. Zu vergüten ist nur die Zeit, um die sich der direkte Weg zum Arbeitsort verlängert. Nur insoweit ist die Wegstrecke des Aufsuchens des Waffenschließfachs als fremdnützige Arbeit vergütungspflichtig, weil der Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, eine ihm zugeteilte Dienstwaffe zu Hause zu verwahren. Nutzt ein Arbeitnehmer eine Option, eine Waffe zu Hause anzulegen nicht, bleibt hiernach das Aufsuchen des dienstlichen Waffenschließfachs eine allein fremdnützige und damit zu vergütende Zusammenhangstätigkeit, bei der jedoch der ersparte Arbeitsweg nicht zu berücksichtigen ist. 

Stets prüfen: Ist die Zusammenhangtätigkeit vom Arbeitgeber vorgegeben?

Eine weitere Besonderheit hat das BAG in dem weiteren Fall (5 AZR 292/20) noch einmal klar gestellt. Infolge der Möglichkeit des dortigen Wachpolizisten, die Dienstwaffe und -kleidung in einem Spind sowie Waffenschließfach am Einsatzort einzulagern, ist die für ein Anlegen der Dienstwaffe außerhalb dieses Ortes aufgewendete Zeitspanne nicht vergütungspflichtig – der Arbeitnehmer hat die persönliche Entscheidung getroffen, von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch zu machen, so dass das Mitführen der Waffe nach Hause und das dortigen Anlegen nicht fremdnützig ist.

Fazit und Folgen für die Praxis

Zumindest in den vorliegenden Konstellationen hat das BAG klargestellt, dass im Zusammenhang mit zusätzlichen fremdnützigen Tätigkeiten außerhalb der eigentlichen Arbeitsleistung ein Abzug ersparter Wegezeiten möglich ist. Der Praxis ist dringend zu empfehlen, eine solche Regelung ausdrücklich zu treffen, um diesbezügliche Unklarheiten zu vermeiden. Mit den vorliegenden Entscheidungen hat das BAG zugleich Argumente geliefert, dass eine solche Regelung nicht gegen rechtliche Wertungsmodelle spricht und deshalb – etwa im Rahmen einer AGB-Kontrolle – unwirksam wäre. Generell erkennt die Rechtsprechung im Übrigen die Möglichkeit an, Zusammenhangtätigkeiten wie für das Umkleiden oder Reisen durch Arbeits- oder Tarifvertrag anders oder gar nicht zu vergüten, solange nur der gesetzliche Mindestlohn (bzw. ein ggf. zwingend geltendes Tarifentgelt) nicht unterschritten wird.

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