Im Jahr 2015 entschied der BFH, dass die Angabe eines Briefkastensitzes nicht den umsatzsteuerlichen Rechnungsvorgaben genügt und daher aus solchen Rechnungen kein Vorsteuerabzug möglich sei. Mit zwei jüngst veröffentlichten Entscheidungen folgt der BFH nun der anderslautenden Rechtsprechung des EuGH, wonach ein Briefkastensitz als Rechnungsangabe generell ausreicht.
Um eine in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abzusetzen, muss der Leistungsempfänger zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs eine ordnungsgemäße Rechnung besitzen. Wesentlich ist dabei u. a. die Angabe der vollständigen Adressen der am Leistungsaustausch beteiligten Unternehmer. Die Finanzverwaltung lässt hierfür die Angabe eines Briefkastensitzes zumindest für die Adresse des Leistungsempfängers ausreichen.
Rechtsunsicherheit durch den BFH
Mit Urteil aus dem Jahr 2015 rief der Bundesfinanzhof (BFH) Zweifel daran hervor, ob für die Adressangabe ein bloßer Briefkastensitz genügt. Der BFH verneinte diese Frage, weil aus seiner Sicht eine Adresse angegeben werden musste, unter der ein Unternehmer seine wirtschaftlichen Aktivitäten tatsächlich entfaltet.
Die Entscheidung des BFH wurde in jüngeren Entscheidungen einzelner Finanzgerichte sowie in der Literatur heftig kritisiert. Die Vorstellung, dass ein Unternehmer stets einen bestimmten Ort habe, an dem er seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, wird in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft als überholt angesehen. Ausgelöst durch Revisionen gegen die Urteile der Finanzgerichte legte der BFH daher diese Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur endgültigen Klärung vor.
Praxisorientierte Entscheidung des EuGH im Vorlageverfahren
In seiner Vorlageentscheidung urteilte der EuGH dann in der Rechtssache Geissel und Butin, dass die Angabe der Adresse des leistenden Unternehmers in einer Rechnung nicht erfordert, dass ein Ort benannt wird, an dem der Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Nach der Auslegung des EuGH genügt auch die Angabe eines Briefkastensitzes den umsatzsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungstellung. Der EuGH begründet diese Sichtweise ausdrücklich damit, dass Leistungen zunehmend digital von unterschiedlichen Orten aus er-bracht werden.
Der V. Senat des BFH hat diese Auslegung nun übernommen und in zwei Urteilen (Az.: V R 25/15 und V R 28/16) entschieden, dass für die Adressangabe des leistenden Unternehmers in Rechnungen jede Art von Anschrift ausreicht, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Die Angabe eines Briefkastensitzes des Leistenden genügt somit grundsätzlich nun auch aus der Sicht des BFH, um aus einer ansonsten ordnungsgemäßen Rechnung den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Nichts anderes kann für die Anschrift des Leistungsempfängers gelten.
Folgen für die Praxis
Der Anschluss des BFH an die Rechtsprechung des EuGH zum Rechnungsbestandteil „Adresse“ beendet erfreulicherweise die bestehende Rechtsunsicherheit für den Vorsteuerabzug. Insbesondere größere Unternehmen, die ihren Rechnungslauf über Shared-Service-Center verarbeiten, aber auch kleinere Unternehmen, wie z. B. Start-ups, die in der Anfangsphase virtuelle Büros in Gründerzentren unterhalten, haben nun Rechtssicherheit, dass die Angabe eines Briefkastensitzes in Rechnungen für den Vorsteuerabzug regelmäßig genügt, solange die Unternehmer unter diesen Adressen tatsächlich erreichbar sind. Ausnahmen gelten auch weiterhin, zum Beispiel wenn der Briefkastensitz lediglich als Adresse im Rahmen der Abrechnung von Scheinleistungen verwendet wird und dies für den Leistungsempfänger erkennbar ist.
Insgesamt ist die Aufgabe der bisherigen BFH-Rechtsprechung sehr zu begrüßen, da sie die zunehmende Entwicklung berücksichtigt, dass Unternehmen in einer digitalisierten Welt nicht mehr lokal, sondern von nahezu überall aus ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten entfalten können.
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Autoren: Melanie Weist, Simon Pommer, LL.M.