Mit seinem Urteil vom 9.07.2015 hat der Europäische Gerichtshofs (EuGH) festgestellt, dass Geschäftsführer und Praktikanten im Hinblick auf den Art. 1 I Buchst. a der RL 98/59/EG vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen („MERL“) als Arbeitnehmer gelten und bei der Ermittlung der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer nach § 17 KSchG zu berücksichtigen sind.
Anlass für dieses Urteil war ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Verden (Az. 1 Ca 35/13), bei dem sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung aufgrund einer Betriebsstilllegung wandte, da sein Arbeitgeber zuvor keine Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit erstattet hatte. Bei der Feststellung der tatsächlichen Arbeitnehmerzahl war unklar, ob der Geschäftsführer, der selbst keine Anteile an der Gesellschaft besaß und nur gemeinschaftlich mit einem anderen Geschäftsführer vertretungsberechtigt war, und eine Praktikantin, die während einer Umschulungsmaßnahme in dem Unternehmen Praxiserfahrung sammeln sollte und ihre Ausbildungsvergütung ausschließlich von der Arbeitsagentur erhielt, zu berücksichtigen seien.
Der Geschäftsführer als Arbeitnehmer
Nach Auffassung des EuGH ist der europarechtliche Begriff des Arbeitnehmers für die Richtlinie 98/59/EG anhand „objektiver Kriterien“ zu definieren; entscheidend ist, ob eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt und als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Ohne Bedeutung sei für die Einordnung, ob das Beschäftigungsverhältnis des Geschäftsführers nach deutschem Recht durch einen Geschäftsführer-Anstellungsvertrag geregelt ist. Entscheidend ist, ob sich eine Person als Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft in einem für einen Arbeitnehmer typischen Unterordnungsverhältnis zur betreffenden Gesellschaft befindet. Dies sei nach der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds des Leitungsorgans und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, sowie der Umstände, unter denen es abberufen werden kann, zu beurteilen. Der typische Fremdgeschäftsführer ist damit ein Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 98/59/EG.
Damit erfüllt ein Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, das gegen Entgelt Leistungen gegenüber der Gesellschaft erbringt, die es bestellt und in die es eingegliedert ist, seine Tätigkeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausübt und jederzeit ohne Einschränkung von seinem Amt abberufen werden kann, diese Voraussetzung.
Der Praktikant als Arbeitnehmer
Der Begriff des Arbeitnehmers umfasst im Unionsrecht nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH auch Personen, die sich in einer Ausbildung oder einem Praktikum befinden. In der vorliegenden Entscheidung entschied der EuGH, dass es unerheblich sei, wer die zur Vergütung des Praktikanten eingesetzten Mittel leistet. Im Sinne der Vorschrift sei die Praktikantin als Arbeitnehmerin anzusehen, auch wenn die Produktivität der Beschäftigten gering ist, keine Vollzeit geleistet und nur eine beschränkte Vergütung, z.B. von einer staatlichen Stelle, ausbezahlt werde.
Praxistipp: Wer zählt also mit bei § 17 KSchG?
- Mitzuzählen sind demnach neben Praktikanten und Fremdgeschäftsführern im oben beschriebenen Sinne Arbeiter und Angestellte, einschließlich der in Kurzarbeit Beschäftigten, die zur Berufsbildung Beschäftigten (Auszubildende), Umschüler, Volontäre und Familienangehörige, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig sind. Arbeitnehmer, die noch nicht sechs Monate dem Betrieb angehören (BAG v. 13.04.2000, 2 AZR 215), werden mitgezählt und auch Teilzeitbeschäftige werden nicht nur anteilig unter Beachtung ihrer Arbeitszeit berücksichtigt.
- Nicht mitzuzählen sind Leiharbeitnehmer, da diese ihrem Vertragsarbeitgeber, dem Verleiherbetrieb, zugeordnet sind, Heimarbeiter, arbeitnehmerähnliche Personen und Franchisenehmer.
- Ungeklärt verbleibt damit die Frage, wie die Regelung des § 17 V Nr. 3 KSchG, wonach leitende Angestellte bei der Ermittlung der Schwellenwerte nicht mitzuzählen sind, unter Berücksichtigung der Wertungen der MERL zu behandeln ist.
Solange Einzelheiten noch ungeklärt sind, sollte darauf u.U. gegenüber der Agentur für Arbeit vorsorglich in einem Begleitschreiben hingewiesen werden.
Siehe auch: "Zum Text der MERL"; "zur Entscheidung des EuGH"
Autoren: Dr. Erwin Salamon, Dr. Arietta von Stechow