Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder ist sie überschuldet, hat die Geschäftsleitung gem. § 15a Abs. 1 InsO ohne schuldhaftes Zögern einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft zu stellen. Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und – nach der Neufassung der Insolvenzordnung seit dem 01.01.2021 – sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen. Stellt die Geschäftsleitung den Insolvenzantrag nicht (rechtzeitig), macht sie sich strafbar (§ 15a Abs. 4 InsO). Lässt die Geschäftsleitung nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft noch Zahlungen zu, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters unvereinbar sind, hat sie der Gesellschaft unter gewissen Voraussetzungen diese Zahlungen zu erstatten (seit dem 01.01.2021 für alle antragspflichtigen juristischen Personen einheitlich geregelt in § 15b InsO). Dies alles gilt weitestgehend nicht, wenn die Insolvenzantragspflicht nach dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes (COVInsAG) ausgesetzt ist (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG).

Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Der Gesetzgeber hat die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht an hohe und für unterschiedlichen Zeiträume divergierende Voraussetzungen geknüpft:

  • Im Zeitraum 01.03.2020 bis 30.09.2020 war die Insolvenzantragspflicht nur dann ausgesetzt, wenn die Insolvenzreife auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus beruhte und wenn Aussichten darauf bestanden, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
  • Im Zeitraum 01.10.2020 bis zum 31.12.2020 war die Insolvenzantragspflicht nur bei bestehender Überschuldung und nur dann ausgesetzt, wenn die Insolvenzreife auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus beruhte, sowie – so muss man es wohl in den Gesetzestext hineinlesen – wenn Aussichten darauf bestanden, die Überschuldung zu beseitigen.
  • Vom 01.01.2021 bis zum 30.04.2021 war bzw. ist die Insolvenzantragspflicht nur noch ausgesetzt, wenn die Insolvenzreife des Unternehmens auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus beruhte, wenn im Zeitraum 01.11.2020 bis 28.02.2021 ein Antrag auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie gestellt wurde, wenn Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung bestand und wenn die erlangbare Hilfeleistung zur Beseitigung der Insolvenzreife führen wird. Zum Kreis der so privilegierten Unternehmen zählen zudem solche, die zwar Antragsberechtigte für die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie sind, einen Antrag auf solche Hilfeleistungen aber innerhalb des Zeitraums vom 01.11.2020 bis 28.02.2021 aus „rechtlichen oder tatsächlichen Gründen“ nicht stellen konnten.

Der Gesetzgeber war sich bei der Einführung dieser komplizierten Tatbestände (im Gesetz sind sie als sogenannte Rückausnahme formuliert) bewusst, dass der Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Krise des Unternehmens und der Pandemie ebenso wie die günstige Prognose für die Geschäftsleiter im Zweifel schwer darzulegen und zu beweisen sein wird. Aus diesem Grund wurde in das Gesetz ergänzend eine Regelung aufgenommen, nach der zu vermuten steht, dass die Insolvenzreife (im Zeitraum 01.10.2020 bis zum 31.12.2020: Überschuldung) auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus beruht und dass Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit (im Zeitraum 01.10.2020 bis zum 31.12.2020: Überschuldung) zu beseitigen, wenn das Unternehmen am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war. Diese gesetzliche Vermutung ist aber nicht nur widerleglich, auf sie werden sich Geschäftsleiter in vielen Fällen schon deswegen nicht erfolgreich berufen können, weil ihre Unternehmen bereits am 31.12.2019 zahlungsunfähig waren. Zudem unterliegen die Aussetzungstatbestände der Auslegung; inzwischen wird zwischen juristischen Gelehrten darüber gestritten, wie einzelne Tatbestandsmerkmale der Aussetzungstatbestände auszulegen sind. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob die gesetzliche Vermutung tatsächlich für ein Unternehmen gelten soll, das erst am 15.01.2020 zahlungsunfähig wurde, am 31.12.2019 aber bereits überschuldet war. Diese offenen Rechtsfragen werden vom Bundesgerichtshof – wenn überhaupt – vermutlich erst im Laufe der nächsten Jahre beantwortet werden.

Wirkung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht hat Wirkung gezeigt. Obwohl der Umsatz vieler Unternehmen durch die Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemie eingebrochen ist, meldeten die deutschen Amtsgerichte im Jahr 2020 nur 15.841 Unternehmensinsolvenzen an das Statistische Bundesamt und damit 15,5 % weniger als im Jahr 2019. Im Oktober 2020 waren es sogar 31,9 % weniger als im Oktober 2019, und im November 2020 waren es 26,0 % weniger als im November 2019.

Haftungsgefahren für Geschäftsführer

Es zeichnet sich ab, dass gerade Geschäftsleiter kleiner und mittelgroßer Unternehmen, die in der Regel schlechter beraten sind als solche größerer Unternehmen, sich nicht bewusst waren bzw. sind, dass der Gesetzgeber die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht an hohe und für unterschiedliche Zeiträumen divergierende Voraussetzungen geknüpft hat und es deswegen versäumt haben, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen. Viele Geschäftsführer werden sich deshalb Haftungsansprüchen ausgesetzt sehen.

Praxistipp

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht birgt große Risiken für die Geschäftsleiter der betroffenen Unternehmen. Ziehen Sie rechtzeitig fachkundigen Rat hinzu, wenn sich Ihr Unternehmen in der Krise befindet. Die derzeit ständig wechselnde, komplizierte und im Detail umstrittene Rechtslage ist für den juristischen Laien ohne fachkundige Beratung nicht zu durchdringen. Mit den (neuen?) Voraussetzungen der Geschäftsführerhaftung nach § 15b InsO wird sich ein späterer Blogbeitrag beschäftigen.

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