Der EuGH hat in diesem Sommer im Schatten der Corona-Rechtsfragen zu Kurzarbeit & Co. eine für Arbeitgeber nicht unwichtige Frage zum europäischen Urlaubsrecht entschieden. Damit bestätigt der Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Urlaubsanspruch und entwickelt sie fort.

In einem Vorabentscheidungsverfahren entschied der EuGH mit Urteil vom 25.06.2020 – C-762/18 / C-37/19, dass Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub abzugelten sind, die zwischen einer unrechtmäßigen Kündigung und der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach rechtskräftig festgestelltem Weiterbeschäftigungsanspruch entstanden sind und die wegen der faktischen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses und einer erneuten Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen werden konnten. Eine gegenläufige nationale Regelung verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 und 2 der Arbeitszeit-Richtlinie (RL 2003/88/EG).

Klägerin sammelte 285 nicht genommene Urlaubstage an
In einem der ausgesetzten nationalen Gerichtsverfahren war die Klägerin, eine Schulbedienstete, im Jahre 2004 entlassen worden. Die Unwirksamkeit dieser Kündigung war erst im Jahre 2008 rechtskräftig festgestellt worden. Nachdem das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin kurz darauf erneut gekündigt worden war, verlangte sie für den Bezugszeitraum vom Ausspruch der erstmaligen Kündigung bis zur Feststellung von deren Unwirksamkeit die Abgeltung von 285 nicht genommenen Urlaubstagen. Weil für die Entscheidung der Fälle die Auslegung der Arbeitszeit-Richtlinie maßgeblich war, legten die italienischen und bulgarischen Richter die sich aus den Verfahren ergebenden Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Kündigung nicht vorhersehbar und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig
Der EuGH urteilte darauf hin, dass den Klägern ein Urlaubsabgeltungsanspruch trotz nicht tatsächlich geleisteter Arbeit zustehe. Der EuGH zog hier Parallelen zur Urlaubsrechtsprechung im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Dort entschied der EuGH, dass abweichend von dem Grundsatz, dass der unionsrechtliche Urlaubsanspruch zweckbedingt nur bei tatsächlich geleisteter Arbeit besteht, dieser ungeachtet krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit entstehe bzw. fortbestehe, weil die Arbeitsunfähigkeit regelmäßig nicht vorhersehbar und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig sei (vgl. Urteil vom 24.01.2012 – C-282/10). Ausgehend von dieser Rechtsprechung machte der EuGH diesen Gedanken für die vorgelegten Fälle nutzbar. Auch eine (rechtswidrige) Kündigung sei nicht vorhersehbar und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig. Die Ursache für die Arbeitsverhinderung sei hier vielmehr in der rechtswidrigen Kündigung des Arbeitgebers zu sehen.

Bezahlter Urlaub ist bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der EU
Der EuGH ließ sich bei seiner Entscheidung ausweislich des Wortlauts des Urteils maßgeblich von der Wertung leiten, dass bezahlter Urlaub ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Europäischen Union sei, was nicht nur aus der einschlägigen Vorschrift in Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeit-Richtlinie, sondern auch aus Art. 21 Abs. 2 der Grundrechtecharta der EU folge.

Schließlich lehnte der EuGH auch die Anerkennung eines begrenzten Übertragungszeitraums, wie er für Fälle der Arbeitsunfähigkeit als zulässig erachtet wurde, ab. Arbeitgeber seien in Fällen der rechtswidrigen Kündigung insoweit nicht schutzwürdig. Die einzige Schranke, die der EuGH für gegeben sieht, ist der Fall, dass der betreffende Arbeitnehmer im jeweiligen Bezugszeitraum bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt war. In diesem Fall richtet sich der Urlaubsanspruch gegen jenen Arbeitgeber.

Keine unmittelbaren Konsequenzen für deutsches Arbeitsrecht
Gut zu wissen ist: Das Ergebnis dieser Rechtsprechung deckt sich mit der deutschen Rechtslage. In vergleichbaren Fällen folgt der Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitnehmers in der Regel schon aus den Grundsätzen des Annahmeverzugs – vorausgesetzt der Arbeitnehmer hat seine Arbeitsleistung nach Ausspruch der Kündigung angeboten.

Auch wenn die Entscheidung somit für deutschem Recht unterliegende Arbeitsverträge keine bisher unbekannten Risiken im Kündigungsfalle zeitigt: Wenn es bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu Urlaubsthemen kommt, wird nach diesem Urteil künftig vermehrt die großzügige Auslegung des unionsrechtlichen Urlaubsanspruchs durch den EuGH mitzudenken sein.

Autor: Markus-Alexander Wisbar, LL.B.

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