Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen, bevor er die Zustimmung zur Kündigung vom Integrationsamt eingeholt hat. Ansonsten ist die Kündigung unwirksam (LAG Chemnitz v. 08.06.2018 – 5 Sa 458/17).

Seit Ende Dezember 2016 ist die Kündigung eines Schwerbehinderten unwirksam, wenn diese ohne vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochen wird (§ 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX, bis zum 31.12.2017 § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX a.F.). Diese Rechtsfolge entspricht der Unwirksamkeitsrechtsfolge für eine Kündigung, die ohne Anhörung des Betriebsrats erfolgt ist (§ 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Bisher nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, in welcher zeitlichen Reihenfolge die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und das behördliche Zustimmungsverfahren beim Integrationsamt erfolgen müssen, damit die Kündigung nicht unwirksam ist. Das LAG Chemnitz hat nun entschieden, dass die Beteiligung jedenfalls vor Abschluss des Zustimmungsverfahrens beim Integrationsamt durchgeführt werden muss.

Arbeitgeber beteiligte Schwerbehindertenvertretung erst nach Einholung der Zustimmung vom Integrationsamt
In dem vom LAG Chemnitz entschiedenen Fall beantragte der Arbeitgeber zunächst die Zustimmung zur Kündigung beim zuständigen Integrationsamt, welches diese auch erteilte. Im Anschluss beteiligte der Arbeitgeber den Betriebsrat und erst danach die Schwerbehindertenvertretung. Schließlich sprach er die Kündigung aus. Die schwerbehinderte Arbeitnehmerin hielt die Kündigung wegen der späten Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung für unwirksam und erhob Kündigungsschutzklage. Das LAG Chemnitz gab der Kündigungsschutzklage statt und befand die Kündigung für unwirksam.

Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung müssen vor Antrag auf Zustimmung erfolgen
Die Unwirksamkeit der Kündigung ergebe sich – so das LAG Chemnitz – nicht nur, wenn die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vollständig unterbleibe, sondern auch dann, wenn die Beteiligung fehlerhaft erfolge. Die Interessenlage sei die gleiche wie bei der Betriebsratsanhörung, deren Fehlerhaftigkeit ebenfalls die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge habe. Nach dem Gesetzeswortlaut hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor der Entscheidung anzuhören, sowie die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Die Beteiligung sei daher durchzuführen, sobald der Arbeitgeber seinen Kündigungswillen gebildet habe. Nur so könne die Schwerbehindertenvertretung auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss nehmen. Diese Möglichkeit werde ihr genommen, wenn sie erst nach Abschluss des Zustimmungsverfahrens und nach Anhörung des Betriebsrats beteiligt werde. Daher war die Beteiligung im konkreten Fall nicht ordnungsgemäß und die Kündigung unwirksam.

Praxishinweise
Da gegen das Urteil des LAG Chemnitz Revision anhängig ist, ist ein höchstrichterliches Urteil des BAG mit Spannung zu erwarten. Die überwiegende Meinung und die bisherige Instanzrechtsprechung gehen davon aus, dass die Beteiligung sogar vor Stellung des Zustimmungsantrages erfolgen muss – anderenfalls ist die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung fehlerhaft und die Kündigung des Schwerbehinderten unwirksam (ArbG Hagen v. 06.03.2018 – 5 Ca 1902/17; ArbG Leipzig v. 17.08.2017 – 8 Ca 1122/17). In der Praxis hat der Arbeitgeber daher zunächst die Schwerbehindertenvertretung zu unterrichten und anzuhören, bevor er die Kündigungszustimmung beim Integrationsamt beantragt. Die Anhörung des Betriebsrates kann zeitgleich mit der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung durchgeführt werden. Der Schwerbehindertenvertretung muss bei einer geplanten ordentlichen Kündigung eine Woche – bei einer außerordentlichen Kündigung drei Tage – Zeit gelassen werden, um auf die Unterrichtung zu reagieren. Nach der Anhörung muss der Arbeitgeber der Schwerbehindertenvertretung seine Entscheidung mitteilen, was zeitgleich mit dem Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt geschehen darf.

Weiterführende Links:

Dazu passende Artikel