Das LG Paderborn hatte in einem kuriosen Mietrechtsfall Gelegenheit, eine Entscheidung zur Sonderzuständigkeit der nordrhein-westfälischen Landgerichte in Kartellsachen zu treffen (Urteil vom 09.09.2020, 4 O 61/20).
Hintergrund der Entscheidung des Landgerichts ist die durch § 89 Abs. 1 GWB ermöglichte und durch Landesverordnung vom 30.08.2011 umgesetzte Konzentration von Kartellsachen vor bestimmten Landgerichten in Nordrhein-Westfalen. Ausschließlich zuständig sind danach die Landgerichte Düsseldorf (für den Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf), Dortmund (für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm) und Köln (für den Oberlandesgerichtsbezirk Köln).
Mietrechtsfall ohne Kartellrechtsbezug
In dem auf Beklagtenseite von ESCHE geführten Verfahren ging es eigentlich um die Wirksamkeit eines langfristigen Grundstücksmietvertrags ohne Preisanpassungsklausel. Der Mietvertrag enthielt außerdem ein Wettbewerbsverbot für die Vermieterin in einem Umkreis von 3 km um das Mietgrundstück herum.
Die Vermieterin wollte sich unter Einschaltung einer Rechtsanwaltskanzlei von dem Mietvertrag lösen, weil ihr über die Jahre der langfristig vereinbarte Mietzins zu niedrig geworden war und sie keine Möglichkeit zur Anpassung sah. Sie erhob Klage und wollte die Unwirksamkeit bzw. Kündigung des Mietvertrags feststellen lassen. Hierzu argumentierte sie mit einer angeblichen Sittenwidrigkeit des Vertrags sowie einem angeblichen Schriftformverstoß (§ 550 BGB).
Kartellrechtliche „Scheinbegründung“ aus einem anderen Verfahren
Hilfsweise versuchte sie unter Verwendung von Textbausteinen, die ganz offensichtlich aus einem anderen Fall stammten, aus dem Wettbewerbsverbot eine Beschränkung des EU-Binnenmarkts und damit einen Verstoß gegen das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) zu konstruieren.
Dies war kartellrechtlich aus mehreren Gründen fernliegend, so unter anderem, weil das Wettbewerbsverbot auf das Funktionieren des örtlichen Markts zwischen den weiteren Marktteilnehmern keinen Einfluss hatte. Vor allem aber hätte ein Kartellverstoß überhaupt nicht zur Unwirksamkeit des ganzen Vertrags, sondern höchstens zur Unwirksamkeit des Wettbewerbsverbots führen können.
Offensichtlich also eine „Scheinbegründung“, die vom Landgericht Paderborn auch schnell als solche durchschaut wurde.
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Spezialzuständigkeiten stellte sich aber die Frage, ob sich das Landgericht Paderborn mit diesen Rechtsfragen überhaupt befassen durfte oder ob allein schon wegen der klägerischen Argumentation mit Art. 101 Abs. 1 AEUV die Sache an ein Spezialgericht (hier: das LG Dortmund) abzugeben war.
Uralte BGH-Entscheidung
Das LG Paderborn behalf sich mit einem Rückgriff auf eine uralte BGH-Entscheidung. Im Jahr 1975 hatte der BGH für die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen BGH-Kartellsenat und Zivilsenaten schon einmal über eine ähnliche Rechtsfrage entschieden (BGHZ 64, 342). Der BGH hatte seinerzeit ausgesprochen:
„Auch wenn sich die Klagpartei (zusätzlich) auf eine Anspruchsgrundlage nach dem GWB [= dem Kartellgesetz] stützt, kann der Zivilsenat seine Zuständigkeit bejahen, wenn er keinerlei ernsthafte Zweifel daran hat, daß sich der Klaganspruch nicht aus diesem Gesetz herleiten läßt.“
Klageabweisung durch „Stuhlurteil“
Diesen Rechtsgedanken übertrug das LG Paderborn nun auf die hiesige Situation.
Da das Landgericht – wie ESCHE – der Meinung war, dass aus der kartellrechtlichen Argumentation der Klägerin offensichtlich keine Unwirksamkeit des Mietvertrags abzuleiten war, kam eine Verweisung an das LG Dortmund nicht in Betracht. Das LG Paderborn konnte den Fall selbst entscheiden und die Klage durch ein sogenanntes „Stuhlurteil“ unmittelbar am Ende der mündlichen Verhandlung abweisen.
Weiterführende Links:
- Die Verordnung über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte und über die gerichtliche Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach dem Energiewirtschaftsgesetz vom 30.08.2011 auf den Webseiten des Innenministeriums von NRW
- Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auf den Webseiten des Bundesjustizministeriums