Bei anmeldepflichtigen Zusammenschlussvorhaben kommt der Fusionskontrolle nicht nur bei der Gestaltung und zeitlichen Planung des Transaktionsprozesses eine gewichtige Rolle zu. Die Reichweite des für den Zeitraum vor und während der Fusionskontrolle geltenden Vollzugsverbotes ist im Einzelfall nicht immer zweifelsfrei bestimmbar und birgt somit häufig rechtliche Risiken. Dass diese durchaus ernst zu nehmen sind, zeigt nunmehr eine weitere Entscheidung der EU-Kommission. Am 27. Juni 2019 hat sie gegen Canon eine Geldbuße in Höhe von 28 Millionen Euro für den vorzeitigen Vollzugs des Zusammenschlusses (sog. „Gun Jumping“) mit der Toshiba Medical Systems („TMSC“) verhängt.
Der Sachverhalt
Canon meldete die geplante Übernahme der TMSC am 12. August 2016 bei der EU-Kommission an. Der Vollzug der Transaktion erfolgte in zwei Schritten. In einem ersten Schritt wurden 95 % der Anteile an TMSC an einen von den Parteien bestimmten Zwischenerwerber verkauft und übertragen. Der Zwischenerwerber sollte die Anteile an TMSC für den Zeitraum während der Fusionskontrolle bis zum letztendlichen Vollzug des Kaufvertrages für die Parteien halten (sog. „Warehousing“). Gleichzeitig erwarb Canon die übrigen 5 % der Anteile sowie eine Option für die Anteile des Zwischenerwerbers gegen Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von rund 5,28 Milliarden Euro.
In einem zweiten Schritt erwarb Canon schließlich die weiteren 95 % der Anteile an TMSC von dem Zwischenerwerber durch Ausübung der Option. Vor der Ausübung der Option hatte die EU-Kommission den Zusammenschluss ohne Auflagen genehmigt. Dennoch richtete sie eine Mitteilung über Beschwerdepunkte an Canon mit Verweis auf rechtliche Bedenken hinsichtlich der Vornahme des ersten Schrittes vor Erteilung der Freigabe und verhängte letztendlich eine Geldbuße in Höhe von 28 Millionen Euro gegen Canon.
Die Entscheidung
Die EU-Kommission hat ihre Entscheidung bislang nur in einer Pressemitteilung erläutert. Darin betont sie, dass gerade das formalisierte Verfahren ein zentraler Aspekt bei der Fusionskontrolle sei und deshalb zwingend eingehalten werden müsse.
In Bezug auf die Entscheidung selbst werden zwei Punkte besonders hervorgehoben: Zum einen ist die EU-Kommission der Ansicht, dass trotz der gewählten Zwei-Schritt-Transaktionsstruktur nur ein einheitlicher anmeldepflichtiger Zusammenschluss vorläge. Aus Sicht der EU-Kommission ist der Zwischenerwerb damit kein isolierter Zusammenschluss, sondern nur ein Teilschritt innerhalb des Gesamtvorhabens.
Zum anderen habe bereits die Vornahme des ersten Schrittes der Transaktion zur Erlangung der Kontrolle über TMSC beigetragen und der Schritt sei bei der gewählten Transaktionsstruktur für die Übernahme der Kontrolle über TMSC durch Canon erforderlich gewesen. Der erste Schritt stelle damit bereits einen Teil des Vollzuges des Zusammenschlusses dar, der zum Zeitpunkt der Vornahme einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot aus Art. 7 der EG-Fusionskontrollverordnung begründet hätte.
Einordnung der Entscheidung und Ausblick
Seit Mai 2017 hat die EU-Kommission insgesamt fünf Entscheidungen zu Verstößen gegen das Vollzugsverbot getroffen und dabei teilweise empfindliche Geldbußen verhängt (z. B. 124,5 Millionen Euro gegen den Kabelnetzbetreiber Altice). Mit der Entscheidung im Falle von Canon zeigt sich ein weiteres Mal, dass die EU-Kommission über die Einhaltung von Vollzugsverboten konsequent wacht – auch wenn der Zusammenschluss wettbewerbsrechtlich im Ergebnis unproblematisch ist.
Bis zur Veröffentlichung der Entscheidungsgründe der EU-Kommission lässt sich die Entscheidung inhaltlich nur bedingt einordnen. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint es aber naheliegend, dass die Entscheidung vornehmlich auf bereits bestehenden Grundsätzen beruht und zumindest keine wesentliche Veränderung der europäischen Entscheidungspraxis darstellt. Bereits in der Konsolidierten Mitteilung der Kommission vom 10. Juli 2007 hat die EU-Kommission klargestellt, dass sie im Falle des Warehousings grundsätzlich einen Zusammenschluss sieht und den Zwischenerwerb nur als ein Teilschritt hiervon einordnet. Zudem hat sich der EuGH in der Ernst & Young-Entscheidung vom 31. Mai 2018 dahingehend positioniert, dass auch der teilweise Vollzug eines Zusammenschlusses einen Verstoß gegen das Vollzugverbot begründet, wenn die Beteiligten Handlungen vornehmen, die zu einer Veränderung der Kontrolle beitragen. Wo hier im Einzelfall die Grenze zum Erlaubten zu ziehen ist, darüber bestehen weiterhin Unsicherheiten. Insofern darf die Begründung der EU-Kommission dennoch mit Spannung erwartet werden. Überdies hat Canon bereits angekündigt, Beschwerde gegen die Entscheidung einzulegen, so dass voraussichtlich der EuGH das letzte Wort in diesem Fall haben wird. Bis dahin ist beim Vollzug von Zusammenschlüssen weiterhin Vorsicht das oberste Gebot – insbesondere auch beim Warehousing.
Autoren: Sebastian Schröder, Hanna Wiedenhaus