Das BAG hatte darüber zu entscheiden, ob der Arbeitgeber auch Langzeiterkrankte auf ihren drohenden Urlaubsverfall hinweisen muss, wie es seit der jüngeren EuGH-Rechtsprechung Pflicht ist (dazu ESCHE Blogbeitrag v. 26.09.2019). Denn für Langzeitkrankte galt bislang, dass ihr Urlaubsanspruch nach 15 Monaten erlischt. Mit dieser Begründung hatte auch das LAG Hamm als zweite Instanz eine Hinweispflicht verneint (dazu ESCHE-Blogbeitrag v. 03.12.2019) - das BAG allerdings hat die Frage nunmehr dem EuGH zur Klärung vorgelegt (Pressemitteilung vom 07.07.2020).

Hinweis auf Urlaubsverfall bei andauernder Erkrankung nicht erfolgt
Die klagende Arbeitnehmerin war im Pflegedienst beim Hospital in kirchlicher Trägerschaft tätig und machte einen Teil ihres Urlaubsanspruchs geltend, den der Arbeitgeber für verfallen hielt. Die Arbeitnehmerin war seit 2017 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und hatte in dem Jahr 14 Tage ihres Urlaubsanspruch nicht in Anspruch genommen. Der Arbeitgeber hatte sie auf einen etwaigen Verfall des Urlaubs zum Jahresende nicht hingewiesen. Daraufhin machte sie im November 2018 den Abgeltungsanspruch für das Jahr 2017 geltend.

Grundsatz 1: Urlaubsverfall nur bei arbeitgeberseitigem Hinweis
Die Arbeitnehmerin berief sich auf die Rechtsprechung des EuGH vom 06.11.2018 und des BAG vom 19.02.2019, die besagt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in einer geeigneten Form konkret auf den drohenden Verfall des gesetzlichen Urlaubsanspruchs hinweisen muss. Anderenfalls besteht der Urlaubsanspruch weiterhin fort und muss gegebenenfalls abgegolten werden (dazu ESCHE Blogbeitrag v. 26.09.2019). Weder der EuGH noch das BAG hatten sich dazu geäußert, wie diese Hinweispflicht bei Langzeiterkrankten zu handhaben ist, die wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit den Urlaubsanspruch nicht geltend machen können.

Grundsatz 2: Urlaubsverfall bei Langzeiterkrankten nach 15 Monaten
Für Langzeiterkrankte gilt seit der Rechtsprechung des EuGH aus 2011 und des BAG aus 2012, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch spätestens 15 Monate nach Ablauf des entsprechenden Urlaubsjahres verfällt. Dies gilt auch, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers über diesen Zeitraum hinaus ununterbrochen andauert. Da die klagende Arbeitnehmerin den Urlaub wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit auch bei einem hypothetischen Verfallshinweis nicht hätte nehmen können, waren die Vorinstanzen zum BAG der Meinung, dass eine Hinweispflicht bei Langzeiterkrankten nicht besteht. Folgerichtig hatten sie die Klage abgewiesen. Das BAG sieht sich ohne Klarstellung durch den EuGH nicht in der Lage, dieser Auffassung zu folgen. Es fragt in seiner Vorlage an den EuGH explizit danach, ob die Verfallsregel der 15 Monate auch dann gelten kann, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hätte nehmen können und kein Hinweis auf den Verfall erfolgt ist.

Praxistipp:
Es ist denkbar, dass der EuGH auch bei Langzeiterkrankten zu dem Ergebnis kommt, dass eine Hinweispflicht besteht – zumindest wenn die tatsächliche Möglichkeit bestand, den Urlaubsanspruch geltend zu machen. Um als Arbeitgeber kein Risiko einzugehen, sollten daher auch Langzeiterkrankte bei dem jährlich zu gebenden Hinweis auf den drohenden Verfall an die gesamte Belegschaft nicht vergessen werden.

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