Häufig reagiert ein Patentverletzer auf seine Verurteilung damit, dass er die angegriffene Ausführungsform technisch abwandelt. Das ist nicht zu beanstanden, wenn die Abwandlung aus dem Schutzbereich des Patents herausführt. Ist jedoch unklar, ob das abgewandelte Erzeugnis weiterhin das Patent verletzt, kann der Patentinhaber in zulässiger Weise sowohl eine neue Patentverletzungsklage erheben als auch zugleich einen Ordnungsmittelantrag wegen Verstoßes gegen das bereits erlassene Verbot stellen. Das gilt selbst dann, wenn das erste Urteil ausdrücklich „kerngleiche Ausführungsformen“ verbietet. Entscheidend ist, dass über die Auslegung der fraglichen Merkmale des Patentanspruchs in Bezug auf die abgewandelte Ausführungsform noch nicht in dem ersten Patentverletzungsverfahren entschieden wurde, wie das Landgericht München in seinem Urteil vom 20. Mai 2020 (7 O 1247/20, GRUR-RS 2020, 12125) klarstellt.
Sachverhalt
Die Patentinhaberin hatte mehrere Unternehmen des Facebook-Konzerns wegen Patenverletzung im Hinblick auf den Facebook-Messenger im Zusammenwirken mit einer Spieleanwendung erfolgreich auf Unterlassung in Anspruch genommen. Nach erstinstanzlicher Verurteilung wandelte die Beklagte die Anwendung ab. Spielenachrichten, die den Spielfortschritt visualisieren, konnten wie zuvor im Facebook-Messenger verschickt werden. Wurde die Spielenachricht angeklickt, erfolgte jedoch nicht mehr ein direkter Wechsel in die Spieleanwendung, sondern die Anzeige einer Spieleübersicht, die u. a. das betroffene Spiel mit dem Auswahlfeld „Play Game“ anzeigte. Der Nutzer musste nun das betreffende Spiel noch einmal anwählen, bevor er in die Spieleanwendung gelangte.
Aus Sicht der Beklagten war diese Abwandlung nicht patentverletzend. Die Patentinhaberin war anderer Meinung. Sie reichte erneut eine Patentverletzungsklage, gestützt auf dasselbe Patent, und zugleich einen Ordnungsmittelantrag wegen Zuwiderhandlung gegen das bereits erlassene gerichtliche Verbot ein.
Entscheidung des LG München I
Das LG München I war der Auffassung, dass die gleichzeitige Einreichung einer neuen Klage als auch eines Ordnungsmittelantrages zulässig sei. Die Klage sei nicht wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig.
Der Unterlassungstenor des ersten Gerichtsurteils beinhalte zwar eine Wiedergabe des Wortlautes der geltend gemachten Patentansprüche. Auch sei danach die Kommunikationsanwendung „Facebook-Messenger sowie alle hierzu kerngleichen Abwandlungen“ verboten. Entscheidend sei jedoch, ob für das Gericht die Notwendigkeit bestehe, neben den Gründen ergänzend auch auf die Patentschrift zurückzugreifen, um zu dem Schluss zu kommen, dass die neue, abgewandelte Verletzungsform ebenfalls patentverletzend ist.
So liege der vorliegende Fall: Über die im ersten Patentverletzungsverfahren angegriffene Ausführungsform des Facebook-Messenger habe hinsichtlich der hier relevanten Merkmale zwischen den Parteien kein Streit bestanden. Zur Beantwortung der Frage, ob diese Modifikation die relevanten Merkmale des Patentanspruches verwirklicht, müsse die Kammer erneut die Patentschrift heranziehen und diese auslegen, was einem zweiten Patentverletzungsverfahren vorbehalten sei. Das zweite Patentverletzungsverfahren sei daher zulässig. Aufgrund der bestehenden Unsicherheit, ob die modifizierte Ausführungsform unter das erste gerichtliche Verbot fällt oder nicht, sei auch zulässig, zugleich einen Ordnungsmittelantrag zu stellen.
Im vorliegenden Fall verneinte das Landgericht München I allerdings eine Patentverletzung in der abgewandelten Ausführungsform, weil diese nicht mehr dem Schutzbereich des Patentes unterfalle. Klage und Ordnungsmittelantrag blieben erfolglos.
Praxishinweis
Die zeitgleiche Erhebung beider Rechtsbehelfe – neue Klage und Ordnungsmittelantrag – ist zwar zeitsparend, aber auch teuer. Deutlich kostengünstiger ist es, wenn man zunächst nur einen Ordnungsmittelantrag stellt. Und über einen Ordnungsmittelantrag wird üblicherweise innerhalb weniger Wochen entschieden, und damit wesentlich schneller als über eine neue Patentverletzungsklage.