Lange war es schon geplant und häufiger hatte sich die Umsetzung verschoben: Mit der Digitalisierung der Gesundheitsbranche sollen auch die sog. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Schritt halten. Ab Juli 2022 muss der gesetzlich versicherte Arbeitnehmer den berühmten „gelben Schein“ nicht mehr in Papier beim Arbeitgeber vorgelegen. Stattdessen ruft der Arbeitgeber über sein systemgeprüftes Entgeltabrechnungsprogramm die Bescheinigung ab. Wie sich Arbeitgeber vorbereiten können, erfahren sie in diesem Blogbeitrag.
Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes
Ab dem 01.07.2022 ist der gesetzlich versicherte Arbeitnehmer nicht mehr verpflichtet, seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber vorzulegen (bisher § 5 Abs. 2 S. 2 bis 5 EFZG). Es bleibt dabei, dass sich Arbeitnehmer unverzüglich beim Arbeitgeber arbeitsunfähig melden müssen. Den ärztlichen Nachweis hierüber, der gesetzlich ab dem 4. Tage der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist, ruft der Arbeitgeber über sein systemgeprüftes Entgeltabrechnungsprogramm ab. Dies gilt auch für den geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer. Lediglich bei privat versicherten Arbeitnehmern bleibt es beim Alten und es muss weiterhin der Arbeitnehmer selbst die Krankschreibung beim Arbeitgeber vorlegen. Das gleiche gilt im Fall des Fernbleibens der Arbeit zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes.
Die AU-Bescheinigung in Papierform soll zwar gemäß § 109 Abs. 1 Satz 3 SGB IV von dem behandelnden Arzt an den Arbeitnehmer weiterhin ausgegeben werden, der Arbeitgeber hat jedoch keinen gesetzlichen Anspruch mehr auf die Vorlage dieser Bescheinigung, sodass diese lediglich als zusätzliches Beweismittel in Störfällen verwendet werden kann.
Vorsorge ist besser als Nachsorge
Arbeitgeber sind gut beraten, sich frühzeitig auf das geänderte Verfahren einzustellen. Die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) erfordert die Integration in bestehende Systeme und die frühzeitige Einbeziehung aller Akteure. Es muss unbedingt beachtet werden, dass ohne einen Abruf aus dem Entgeltabrechnungsprogramm, keine Daten durch die Krankenkasse übermittelt werden. Der Arbeitgeber muss die Daten aktiv abrufen. Ein Abruf für sämtliche Arbeitnehmer des Betriebs unabhängig von der Arbeitsunfähigkeit ist ebenfalls nicht zulässig. Es sind also nur Anlassabrufe nach Kenntnis der Erkrankung des Arbeitnehmers möglich.
War der Abruf erfolgreich, stellt die Krankenkasse die Bescheinigung zum Abruf bereit, welche insbesondere die folgenden Daten enthält:
- Den Namen des Beschäftigten,
- den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit,
- das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit,
- die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung und
- die Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall oder auf den Folgen eines Arbeitsunfalls oder sonstigen Unfalls beruht.
Anders als in der herkömmlichen AU Bescheinigung ist in der eAU Bescheinigung keine Angaben mehr zu dem AU-ausstellenden Arzt vorhanden.
Wechselwirkungen zwischen Systemen
Die eAU bringt Änderungen im Ablauf mit sich. Die Prozesse von Erfassung der Fehlzeiten müssen ggf. neu organisiert werden. Viele Unternehmen verwenden z. B. unterschiedliche Zeiterfassungs- und Lohnabrechnungssysteme, welche nicht ineinander integriert sind. Hier muss die Übertragung aus dem Zeiterfassungssystem (etwa „krank ohne AU“) an das Lohnabrechnungssystem gewährleistet werden. Ansonsten erfolgt kein Abruf der eAU. Der Arbeitgeber kann also nur feststellen, ob der Arbeitnehmer eine eAU eingeholt hat, wenn er den Abruf durchgeführt hat. Als Starthilfe hat der GKV-Spitzenverband die „Verfahrensbeschreibung für die Erstattung der Meldung im Rahmen des Datenaustausches elektronische Arbeitsunfähigkeit (eAU)" gültig ab 1. Januar 2022 herausgegeben, abrufbar hier.
Pflichtverletzungen rund um die Vorlage der AU-Bescheinigung
Bislang ist es üblich, dass in Arbeitsverträgen aufgenommen ist, dass der Arbeitnehmer die AU-Bescheinigung ab dem 4. Tage beim Arbeitgeber vorzulegen hat. Auch wenn dies vertraglich nicht geregelt ist, gilt dies gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 EFZG als gesetzliche Pflicht. Oftmals werden Abmahnungen und auch Kündigungen ausgesprochen, weil Arbeitnehmer diese Pflichten verletzen. Zukünftig kann dem gesetzlich versicherten Arbeitnehmer nicht mehr vorgeworfen werden, dass er die AU-Bescheinigung nicht vorgelegt hat. Allerdings kann ihm vorgeworfen werden, dass er diese gar nicht erst oder zu spät beschafft hat, d. h. den Arzt oder die Ärztin zu spät aufgesucht hat. Der Arbeitgeber bleibt gehalten, zu prüfen, ob der Arbeitnehmer seiner Pflicht nachkommt, auch wegen der Teilnahme am U1-Verfahren. Entsprechend sollten neue Arbeitsverträge an die neue Gesetzeslage angepasst und für gesetzlich sowie privat versicherte Beschäftigte differenziert werden. Bei Altverträgen gelten die neuen Bestimmungen ab 01.07.2022 allerdings schon per Gesetz, sodass eine Anpassung nicht zwingend erforderlich ist. Selbstverständlich gilt nach wie vor, dass der Arbeitgeber die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Tage der Arbeitsunfähigkeit anordnen darf.