Ein Proteststurm fegte 2019 durch das Netz – und die reale Welt. Influencer, Youtuber und der Chaos Computer Club riefen dazu auf, sich gegen das vermeintliche Ende des freien Internets zu wehren. Auslöser war die Verabschiedung der EU-Urheberrechtsrichtlinie. Diese Richtlinie muss in Deutschland bis 7. Juni 2021 umgesetzt werden.
Am 20. Mai 2021 hat der Deutsche Bundestag gerade noch rechtzeitig ein Gesetzespaket zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts verabschiedet. Wichtigster Bestandteil ist das neue Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG). Damit sollen Plattformbetreiber wie Google, Facebook, TikTok, Twitter und Co. stärker in die Pflicht genommen werden, um Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie in Deutschland Geltung zu verschaffen. Diese Vorschrift regelt die Nutzung geschützter Inhalte durch Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten.
Kernstück der Reform ist die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Upload-Plattformen. Sie müssen künftig urheberrechtlich geschützte Inhalte lizenzieren, die von Usern auf den Plattformen geteilt werden. Dadurch sollen Urheber stärker finanziell an den Gewinnen der Plattformbetreiber beteiligt werden.
Von den lauten Kritikern der Reform wird wegen der verschärften Haftung ein „Overblocking“ befürchtet, also dass Plattformen vorsorglich auch zulässige Inhalte blockieren, um ihrer Haftung zu entgehen. Das Schreckgespenst heißt „Uploadfilter“.
Um diesen Bedenken und den legitimen Interessen der Urheber gerecht zu werden, war im Gesetzgebungsverfahren die sprichwörtliche Quadratur des Kreises erforderlich. Plattformanbieter haften für Rechtsverletzungen durch Inhalte, die Nutzer hochladen, nur dann, wenn sie ihren Sorgfaltspflichten nicht nachkommen: Sie sind verpflichtet, eine Reihe von Nutzungsrechten an Inhalten einzukaufen, die auf den Plattformen typischerweise zur Verfügung gestellt werden. Ausnahmen gelten für gesetzlich erlaubte Nutzungen, zu denen nun auch Karikaturen, Parodien und Pastiches, also offene Imitationen von Werken, zählen sollen.
Plattformen müssen außerdem Inhalte auf Verlangen eines Rechtsinhabers blockieren und „bestmöglich sicherstellen“, dass sie auch künftig nicht verfügbar werden („notice and stay down“). Angesichts der schieren Masse von Upload – 2015 wurden auf YouTube pro Minute etwa 400 Stunden Videomaterial hochgeladen – werden die Plattformen automatisierte Uploadfilter einsetzen (müssen), eine im Übrigen bereits heute verbreitete Praxis.
Allerdings sollen einige Inhalte als „mutmaßlich erlaubt“ anzusehen sein, wenn sie entweder eine Bagatellgrenze nicht überschreiten, oder wenn sie vom Nutzer als „erlaubt“ gekennzeichnet werden. Bewerkstelligt wird ersteres über eine Vermutung, dass 15 Sekunden Film oder Ton, 160 Zeichen Text und 125 Kilobyte einer Foto- oder Grafikdatei als geringfügige Nutzung gelten.
„Vertrauenswürdige“ Rechteanbieter bekommen die Möglichkeit, einen „Red-Button“ zu drücken und so ihrer Meinung nach rechtswidrige Inhalte sofort blockieren zu lassen. Wer dieses Recht missbraucht, kann durch die Plattformen von dem Verfahren ausgeschlossen werden.
Ob dies alles im Ergebnis zu einem Overblocking führen wird, ist noch nicht klar. Plattformen werden natürlich bestrebt sein, das Risiko eigener Haftung zu minimieren. Das kollidiert mit dem Anspruch der Nutzer, dass erlaubte Inhalte nicht blockiert werden. So wird sich in der Praxis erst zeigen müssen, ob die getroffenen Regelungen geeignet sind, um ein ausgewogeneres Gleichgewicht der Interessen als bislang herzustellen.
Unter Mitarbeit von Jakob Kunert.
Dieser Artikel ist ebenfalls in der HafenCity Zeitung, Ausgabe Juni 2021, erschienen.