Mit einer neuen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) anscheinend eine Verwertung von Videoaufzeichnungen für zulässig erachtet, die nach einer weit verbreiteten Auffassung von Datenschutzrechtlern schon hätten gelöscht sein müssen. Arbeitgeber frohlocken – zur Recht?

Eine offene Videoüberwachung von Geschäftsräumen mit Publikumsverkehr soll in der Regel unerwünschtes Verhalten – z. B. Diebstähle – verhindern. Kommt es dennoch zu Taten, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Aufnahmen zu Beweiszwecken verwertet werden dürften. Dies ist regelmäßig nicht der Fall, wenn die Datenverarbeitung unverhältnismäßig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der gefilmten Personen eingreift.

Der Sachverhalt
Der Arbeitgeber hatte – für jeden erkennbar – in einem Geschäft des Tabak- und Zeitschriftenhandels eine Videoüberwachung eingerichtet. Diese sollte sein Eigentum vor Straftaten sowohl von Kunden als auch von eigenen Arbeitnehmern schützen. Nachdem ein Fehlbestand an Tabakwaren festgestellt worden war, wertete der Arbeitgeber im August 2016 Videoaufzeichnungen aus. Zu den ausgewerteten Aufzeichnungen zählten Bildsequenzen, die bereits im Februar 2016 aufgezeichnet worden waren. Diese zeigten eine Arbeitnehmerin, wie sie vereinnahmte Gelder nicht in die Kasse legte. Die von dem Arbeitgeber erklärte Kündigung wurde mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen.

Entscheidung des LAG Hamm
In der zweiten Instanz entschied das LAG Hamm, dass die Videoaufzeichnungen nicht als Beweis verwertet werden dürften, weil der Arbeitgeber die Aufzeichnungen im Zeitpunkt der Auswertung schon längst hätte gelöscht haben müssen (LAG Hamm, 20.12.2017, Az. 2 Sa 192/17). Dies folge nach dem LAG aus § 6 b Abs. 5 BDSG (in seiner in 2016 geltenden Fassung). Danach seien Daten unverzüglich zu löschen gewesen, sobald sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich gewesen seien. Die Verwertung dieser Beweismittel greife daher unverhältnismäßig in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmerin ein.

Was hat das BAG entschieden – und was nicht?
Nach der aktuellen Pressemitteilung hat das BAG entschieden, dass die „Speicherung“ der Videoaufnahmen nicht allein durch den bloßen Zeitablauf „unverhältnismäßig“ geworden sei, solange die Ahndung einer Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich sei (BAG, 23.08.2018; Az. 2 AZR 133/18).

Sofern es sich – so das BAG – um eine rechtmäßige offene Videoüberwachung gehandelt habe, wäre die Verarbeitung und Nutzung (Verwertung) der Videoaufnahmen auch nach 6 Monaten zulässig gewesen. Der Arbeitgeber habe die Videoaufzeichnung nicht sofort auswerten müssen. Er hätte warten dürfen, bis er einen berechtigten Anlass sah. Sollte die Videoaufzeichnung rechtmäßig gewesen sein, stünden – so das BAG – auch die Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung einer Verwertung der Aufzeichnungen im weiteren Verfahren nicht entgegen.

Das BAG hat den Fall nicht abschließend entschieden, sondern an das LAG Hamm zurückgewiesen. Dies sei erforderlich gewesen, weil das BAG nach den bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen konnte, ob es sich um eine rechtmäßige Videoüberwachung gehandelt habe. Das BAG hat also nur die Frage beantwortet, ob allein durch den Zeitablauf eine Speicherung (bzw. die Verwertung) von Bildsequenzen unverhältnismäßig in die Rechte der Arbeitnehmer eingreift. Nicht entschieden wurde, ob es sich im Übrigen um eine rechtmäßige Videoüberwachung gehandelt habe oder ob eine langfristige Speicherung im Zusammenhang mit weiteren Umständen des Einzelfalls (z. B. mit einer umfassenden Aufzeichnung des Kundenverhaltens) rechtmäßig war.

Nach der Pressemitteilung ist das BAG mit seiner Entscheidung zudem nicht davon abgerückt, dass eine rechtswidrige Verarbeitung von Beschäftigtendaten regelmäßig zu einem Beweisverwertungsverbot führen kann. Dies hatte das BAG in seinen jüngeren Entscheidungen deutlicher als in der Vergangenheit herausgestellt (z. B. Urteil vom 20.06.2013, Az. 2 AZR 546/12 „Spind“; Urteil vom 27.07.2017 Az. 2 AZR 681/16; „Keylogger“).

Verhältnis zur Auffassung der Datenschutz-Aufsichtsbehörden
Dennoch scheint die Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung zu sein. Von datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden wie auch in Teilen der Literatur wurde bisher häufig die Auffassung vertreten, dass Videoaufzeichnungen grundsätzlich nur 48 Stunden oder jedenfalls nur wenige Tage aufbewahrt werden dürften (vgl. z. B. das Kurzpapier Nr. 15 der DSK – Datenschutzkonferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, S. 3). Diese Sichtweise wird man unseres Erachtens jedenfalls für die Fälle von Videoüberwachung in Frage stellen können, in denen es keine Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit einer Auswertung gibt, solche Anhaltpunkte aber später noch eintreten können und die Auswertung mit erheblichem Aufwand verbunden ist.

Grundsatz der Speicherbegrenzung der DS-GVO
Zu Bedenken ist weiterhin, dass die Entscheidung des BAG nur Daten betrifft, die ca. 6 Monate gespeichert waren. Man wird deshalb aus der Entscheidung nicht rechtssicher ein allgemeines Recht zur unbegrenzten Speicherung herleiten können. Eine „ewige“ Speicherung würde nicht dem Grundsatz der Speicherbegrenzung nach Art. 5 Abs. 1 lit. e DS-GVO entsprechen.

Näheres wird die vollständige Urteilsbegründung ergeben, die heute noch nicht vorliegt. Dies betrifft z. B. die Frage, wie das BAG in diesem Zusammenhang das von dem LAG Hamm angesprochene Löschungsgebot des früheren § 6 b Abs. 5 BDSG, der heute inhaltsgleich in § 4 Abs. 5 BDSG-neu geregelt ist, bewertet. Wahrscheinlich wird es sich auf den Standpunkt gestellt haben, dass bis zu einer Auswertung der Zweck der Videoüberwachung nicht vollständig erreicht ist.

Fazit
Die Pressemitteilung des BAG kann so verstanden werden, dass nach Auffassung des BAG Aufzeichnungen von offen erkennbaren Videokameras, die u. a. Straftaten von Beschäftigten aufdecken sollen, nicht stets kurzfristig ausgewertet und ggf. gelöscht werden müssen. Nach einer späteren Auswertung aus berechtigtem Anlass können rechtmäßige Videoaufzeichnungen immer noch zu Beweiszwecken verwertbar sein.

Ein „Freibrief“ für eine unbegrenzte offene Videoüberwachung und eine zeitlich unbegrenzte Speicherung der personenbezogenen Daten ist diese Entscheidung jedoch nicht. Das BAG betont, dass die Videoüberwachung rechtmäßig gewesen sein muss und dies in dem zu entscheidenden Fall von dem BAG nicht abschließend geprüft werden konnte. Es wird unseres Erachtens zudem im Einzelfall eine Rolle spielen, ob zuvor Anhaltspunkte für strafbares oder pflichtwidriges Verhalten von Beschäftigten vorlagen und dem Arbeitgeber eine frühere Auswertung zumutbar war. Eine abschließende Bewertung der Reichweite der Entscheidung wird erst nach Vorliegen der vollständigen Begründung möglich sein. Die Entscheidung wird aber voraussichtlich geeignet sein, in zahlreichen Fällen die engen Vorgaben für eine Speicherdauer durch datenschutzrechtliche Aufsichtsbehörden in Frage zu stellen.

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