Eher unbeachtet ist ein im vergangenen Jahr veröffentlichtes Urteil des OLG München (OLG München, Urteil v. 07.11.2019 − 29 U 4165/18 Kart) geblieben, das sich mit einheitlichen Aktionspreisen innerhalb eines Franchise-Systems befasst. Es betrifft ein Thema, zu dem es bislang kaum Rechtsprechung gibt.
Konkret ging es um monatlich wechselnde Sonderangebote einer großen Fast-Food-Kette, hinter der man unschwer „Burger King“ identifizieren kann („King des Monats“).
Einige Filialinhaber hatten sich gegen die Verpflichtung zur Teilnahme an den Aktionen gewehrt.
Das Urteil bestätigt, dass solche Aktionspreise aufgrund der Vertikal-GVO zulässig sind. Es lässt sich auf alle Formen des indirekten Vertriebs übertragen, in denen selbständigen Händlern von einer „Zentrale“ einheitliche Preisvorgaben gemacht werden. Es gilt somit beispielsweise auch für Vertragshändler-Strukturen und gewerbliche Verbundgruppen, aber auch für alle anderen Konstellationen, in denen unter einem einheitlichen Markendach selbständigen Händlern zentral Aktionspreise vorgegeben werden.
Grundsatz: Kartellrechtliches Verbot von einheitlichen Preisvorgaben
Klar ist: Ein Unternehmen kann selbständigen Händlern grundsätzlich keine Verkaufspreise für das von ihnen vertriebene Produkt diktieren. Die Vorgabe von einheitlichen (Mindest-) Preisen ist als Preisabsprache kartellrechtlich verboten. Der über den Preis geführte Wettbewerb zwischen verschiedenen Händlern für dasselbe Produkt soll grundsätzlich auch dann nicht eingeschränkt werden, wenn er unter einem einheitlichen Markendach erfolgt und damit für die Kunden nur schwer erkennbar ist.
Dies ist beispielsweise der Grund dafür, dass einheitliche Preisangaben – auch in der Werbung – als „unverbindliche Preisempfehlung“ bezeichnet werden.
Für (Mindest-) Preise mag dies unmittelbar einleuchten, weil der Endkunde vom Preiswettbewerb regelmäßig in Form niedrigerer Preise profitiert.
Gilt dies aber auch für einheitliche Preisreduzierungen? Gibt es kartellrechtliche Gründe, die verbieten, dass Preise einheitlich gesenkt werden?
Die kartellrechtliche Bewertung von einheitlichen Aktionspreisen
Einheitliche Aktionspreise (Sonderpreise) werden in der Kartellrechtsliteratur üblicherweise nicht als Preisabsprachen, sondern als „Höchstpreisvorgaben“ bzw. Preisobergrenzen behandelt. Der Unterschied liegt darin, dass der Händler in diesem Fall den Aktionspreis noch weiter unterschreiten kann.
Im Wesentlichen werden drei Fallgruppen von Höchstpreisvorgaben erörtert:
- dauerhafte Höchstpreisvorgaben innerhalb der Marktanteilsgrenze von Art. 4 Buchst. a Vertikal-GVO (30 %) grds. zulässig;
- dauerhafte Höchstpreisvorgaben außerhalb der Marktanteilsgrenze von Art. 4 Buchst. a Vertikal-GVO (30 %) grds. unzulässig, nur ggf. im Einzelfall freigestellt;
- Höchstpreisvorgaben im Rahmen von vereinzelten Aktionszeiträumen unabhängig von Marktanteilen grds. zulässig.
Insbesondere die hier vor allem interessierenden Aktionspreise, also „Höchstpreisvorgaben“ während eines kurzen Aktionszeitraums, werden trotz der schwierigen dogmatischen Einordnung durchgängig und unabhängig von der Marktanteilsgrenze des Art. 4 Buchst. a Vertikal-GVO als zulässig angesehen.
Voraussetzung für die Zulässigkeit außerhalb des Anwendungsbereichs der Vertikal-GVO ist jeweils, dass es sich nur um gelegentliche und kurzfristige Aktionen handelt.
Dauerhafte Höchstpreisvorgaben sind jedenfalls dann durch Art. 4 Buchst. a iVm. Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO zugelassen, wenn der Anteil des Anbieters an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen anbietet, und der Anteil des Abnehmers an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen bezieht, jeweils nicht mehr als 30 % beträgt.
Relevant ist danach auch der lokale Marktanteil des Händlers in seiner ganz konkreten Umgebung vor Ort. Nur wenn dieser lokale Marktanteil nicht 30 % überschreitet, dürfen nach der Vertikal-GVO dauerhafte Höchstpreise vorgegeben werden.
Unklarheiten und Widersprüche
Manches bleibt in diesem Bereich leider nach wie vor unklar und widersprüchlich, insbesondere, was Umkehrschlüsse aus der Vertikal-GVO angeht.
So hat das Bundeskartellamt in einer Publikation zum Lebensmitteleinzelhandel („Hinweise zum Preisbindungsverbot im Bereich des stationären Lebensmitteleinzelhandels“, 2017, Rn. 11) Höchstpreisvorgaben allgemein und unabhängig von Dauer oder Marktanteilsschwellen für zulässig erklärt, und die EU-Kommission (Vertikalleitlinien, Rn. 225) denkt laut, aber leider ohne greifbares Ergebnis, über die Zulässigkeit von festen Preisvorgaben (und nicht nur von Höchstpreisen) nach, wenn der Aktionszeitraum sich auf höchstens sechs Wochen beschränkt.
Konkrete Folgen für die Rechtsgestaltung und praktische Umsetzung
Solange derartige Widersprüche nicht aufgelöst sind, sollte man sich in der praktischen Gestaltung von Aktionspreisen jedenfalls dann auf der sicheren Seite bewegen, wenn die Preise für einen längeren Zeitraum gelten sollen und nicht ausgeschlossen werden kann, dass auf lokaler Ebene ein Marktanteil von 30 % überschritten wird. In diesem Fall sollten die Vorgaben für die Vertriebspartner klar und eindeutig als Höchstpreisvorgaben ausgestaltet sein, d. h. es sollte nicht „der“ Aktionspreis vorgegeben werden, sondern dem Vertriebspartner vertraglich freigestellt bleiben, einen Aktionspreis individuell noch weiter zu unterschreiten. Außerdem sollte die rechtliche Verpflichtung des Vertriebspartners zur Teilnahme an Preisaktionen auf vereinzelte Maßnahmen im Jahr und kurze Zeiträume begrenzt werden. So dürften z. B. drei Aktionen pro Jahr mit jeweils ein bis zwei Wochen Laufzeit sicherlich noch Einzelfallcharakter haben. Irgendwo darüber beginnt dann aber ein „Graubereich“, in dem die Zulässigkeit der Vorgaben nach den hier angewendeten Maßstäben zunehmend fraglich wird.
Das Urteil des OLG München
Einfacher ist es, wenn – wie im Falle des OLG München – davon auszugehen ist, dass die Markanteile unter 30 % liegen. Für diesen Fall erklärt das OLG München Aktionshöchstpreise innerhalb eines Franchise-Systems unter Berufung auf die Vertikal-GVO in Übereinstimmung mit den dargestellten Grundsätzen für zulässig.
Leider ist dem Urteil nichts zu den geschilderten Zweifelsfragen oberhalb einer Marktanteilsschwelle von 30 % zu entnehmen.
Das Urteil ist trotzdem aus mehreren Gründen interessant, und zwar auch über reine Franchise-Fälle hinaus:
- Die Vorinstanz LG München I (und dort die auf Kartellrecht spezialisierte und sehr renommierte 37. Zivilkammer) hatte die Einordnung der Aktionspreise als Höchstpreise im Sinne der Vertikal-GVO verneint. Dies ist ein Beweis, wie schwer vorhersagbar Urteile in Kartellrechtsfragen sind.
- Die Revision wurde nicht zugelassen. Grundsätzlichen Klärungsbedarf sieht das OLG also offensichtlich nicht.
- Das OLG sieht kein Problem darin, dass die Aktionen dauerhaft, also Monat für Monat, durchgeführt werden.
- Da das OLG mit der Vertikal-GVO argumentiert, hält es Höchstpreise wohl nicht grundsätzlich für kartellrechtlich freigestellt (sondern nur bei Einhaltung der 30 %-Schwelle). Das stellt eine Abweichung vom Bundeskartellamt zum stationären Lebensmitteleinzelhandel (2017) dar.
- Es ist durchaus realistisch, dass lokalen Marktteilnehmern (hier waren es die Franchisenehmer selbst) Kartellrechtsprobleme auffallen und sich hieraus Rechtsstreitigkeiten ergeben. Bei unzulässigen Werbeaktionen könnte es also auch der Wettbewerber vor Ort sein, der Probleme macht.
In jedem Fall ist zu beachten, dass die Vertikal-GVO gem. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a nur Preisvorgaben innerhalb einer einheitlichen Lieferkette freistellt. In Vertriebssystemen sind aber auch Konstellationen denkbar, in denen ein Prinzipal Preisvorgaben für Warengruppen machen möchte, die er selbst gar nicht geliefert hat. In diesem Fall entfällt der „safe harbour“ der Vertikal-GVO, und die Fälle können nur unter den Voraussetzungen einer Einzelfreistellung gem. § 2 Abs. 1 GWB vom Kartellverbot ausgenommen sein.