Zum 01.01.2020 sollen die aus Sicht der EU-Kommission dringend umsetzungsbedürftigen Maßnahmen zur Modifikation des Mehrwertsteuersystems (sog. „Quick Fixes“) im Rahmen des „Jahressteuergesetzes 2019“ in das nationale Umsatzsteuerrecht umgesetzt werden. U. a. wird eine EU-einheitliche Regelung definiert, unter welchen Voraussetzungen bei einem umsatzsteuerlichen Reihengeschäft – abweichend von der gesetzlichen Regelvermutung – die bewegte und damit grundsätzlich als steuerfrei in Betracht kommende innergemeinschaftliche Lieferung einem mittleren Unternehmer in der Kette zugeordnet werden kann.
Die bisher uneinheitliche Rechtsauffassung in diesem Kontext führt für die betroffenen Unternehmer zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass eine rechtssichere Qualifikation – insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten – oftmals nicht möglich ist.
Durch die Umsetzung des neuen Art. 36a MwStSystRL in nationales Recht (§ 3 Abs. 6a UStG n.F.) soll nunmehr gesetzlich geregelt werden, dass ein mittlerer Unternehmer als liefernder Unternehmer anzusehen ist,
- wenn er mit einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (UID) des Mitgliedstaates auftritt, in dem die Warenlieferung beginnt und
- er als sog. Zwischenhändler selbst oder auf eigene Rechnung die Waren befördert oder versendet.
Prinzipiell unterscheidet sich die neue gesetzliche Regelung nicht von der bisherigen Auffassung der deutschen Finanzverwaltung. Sie wird zukünftig jedoch europaweit harmonisiert sein. Somit kann es empfehlenswert sein, bisherige Strukturen kritisch dahingehend zu hinterfragen, ob möglicherweise unter Nutzung der Quick Fixes Vereinfachungen erreicht und umsatzsteuerliche Risiken minimiert werden können.
Problemstellung
Anhand eines, für ein international tätiges Unternehmen nicht untypischen Beispiels soll dies nachfolgend erläutert werden:
Ein inländisches Unternehmen D lässt seine Produkte durch die in Polen ansässige Gesellschaft P fertigen. D vertreibt die Produkte sowohl an inländische als auch an andere europäische Kunden. Teilweise handelt es sich bei den Kunden von D um Zwischenhändler, so dass die Waren in diesen Fällen nicht bei den Zwischenhändlern verbleiben, sondern von den Zwischenhändlern an deren Endkunden weiterveräußert werden. Um kurze Lieferzeiten zu gewährleisten, gelangen die Produkte stets von P direkt an den letzten Abnehmer, so dass ein umsatzsteuerliches Reihengeschäft mit drei oder vier Beteiligten vorliegt. P veranlasst den Warentransport, so dass der gesetzlichen Regelvermutung folgend P die bewegte und damit (unter weiteren Voraussetzungen) steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung ausführt.
Betrachtet man das Unternehmen D, besteht die Schwierigkeit in der Praxis erfahrungsgemäß nicht nur in der zutreffenden umsatzsteuerlichen Beurteilung derartiger Reihengeschäfte mit drei oder vier Beteiligten durch die Steuerabteilung des Unternehmens oder einen Steuerberater. Aufgrund der automatisierten Massendatenverarbeitung im Bereich der Umsatzsteuer ist die Herausforderung vielmehr, dass die verwendeten IT-Systeme bei einer Lieferung durch Abgriff und Kombination der relevanten Daten aus z. B. Bestellung und Kundenstammdaten die zutreffende umsatzsteuerliche Behandlung sicherstellen.
Veräußert D die Waren beispielsweise an einen inländischen Kunden K, ist die Lieferung mit deutscher Umsatzsteuer abzurechnen. Ist K jedoch Zwischenhändler und veräußert die Waren weiter an einen in Italien ansässigen Endkunden, gilt die Lieferung des D als sog. ruhende Lieferung als in Italien ausgeführt, so dass D im Grundsatz mit italienischer Umsatzsteuer abrechen muss, was eine umsatzsteuerliche Registrierung in Italien voraussetzt.
Ebenso sind Fälle denkbar, in denen D die Ware beispielsweise an einen in Belgien ansässigen Unternehmer B veräußert, der mit einer belgischen UID auftritt. Bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen liegt hier ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft vor, so dass D sich in Belgien nicht umsatzsteuerlich registrieren muss, da er eine Nettorechnung gemäß § 25b Abs. 2 Nr. 3 UStG an B ausstellen kann. Ist B jedoch Zwischenhändler und veräußert die Ware an einen ebenfalls in Belgien ansässigen Endkunden weiter, so dass ein Reihengeschäft mit vier Beteiligten vorliegt, liegt zumindest nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung kein Dreiecksgeschäft vor, vgl. Abschnitt 25b.1 Abs. 2 Satz 2 Umsatzsteuer-Anwendungserlass.
Anhand dieser beiden Szenarien wird exemplarisch deutlich, dass systemseitig zuverlässig identifiziert werden muss, ob ein Reihengeschäft mit drei oder vier Beteiligten vorliegt, um für D die richtigen umsatzsteuerlichen Konsequenzen zu ziehen.
Parallel zu den dargestellten Qualifikationsrisiken können für das Unternehmen D bei Erschließung neuer Märkte – insbesondere im Fall von Reihengeschäften mit vier Beteiligten – die umsatzsteuerlichen Registrierungspflichten im Ausland zunehmen.
Gestaltungsmöglichkeit
Zur umsatzsteuerlichen Risikominimierung und betriebswirtschaftlich sinnvollen Vereinfachung von Prozessen können die Quick Fixes für das Unternehmen D dahingehend genutzt werden, dass beispielsweise in allen Fällen mit einer Versandadresse außerhalb Deutschlands, die Lieferung von D als bewegte und grundsätzlich als steuerfrei in Betracht kommende innergemeinschaftliche Lieferung gestaltet wird. Dies wird dadurch erreicht, dass sich D in Polen (statt möglicherweise in diversen EU-Staaten) umsatzsteuerlich registriert und den Transport der Waren übernimmt. Selbstverständlich können auch die Lieferungen an in Deutschland ansässige Kunden mit einbezogen werden, wenn dies gewünscht ist.
Hierdurch entfallen die exemplarisch aufgezeigten umsatzsteuerlichen Risiken, die die Unterscheidung von Reihengeschäften mit drei oder vier Beteiligten mit sich bringen, da D bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen im neuen Szenario die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung ausführt. Die Lieferung von P an D wiederum stellt eine Inlandslieferung in Polen dar, aus der D ein Vorsteuerabzug in Polen zusteht.
Praxishinweis
Ausgangspunkt derartiger Gestaltungen sollte immer eine Bestandsaufnahme der umsatzsteuerlichen Lieferkonstellation im Unternehmen sein, auf Basis derer ein Optimierungspotential geschätzt werden kann. Soweit die umsatzsteuerliche Behandlung von identifizierten Lieferkonstellationen geändert wird, muss sichergestellt sein, dass auch die systemseitige Umsetzung zutreffend erfolgt. Idealerweise wird ein solches Projekt daher in enger Zusammenarbeit zwischen Vertrieb, IT-Abteilung und Steuerabteilung bzw. Steuerberater bewerkstelligt.