Der Streit um die Erteilung einer patentrechtlichen Zwangslizenz nach § 24 PatG an einem HIV-Medikaments geht weiter. Nachdem das Bundespatentgericht am 31. August 2016 in einem einstweiligen Verfügungsverfahren die vorläufige Benutzung des Wirkstoffs Raltegravir für das Medikament Isentress erlaubt hatte (siehe auch Esche Blog vom 2. September 2016), hatten die Antragsgegnerinnen und Patentinhaber Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. Dieser bestätigte nun die erstinstanzliche Entscheidung des Bundespatentgerichts. Es ist also weiterhin erlaubt, das patentgeschützte Medikament herzustellen (BGH, Urteil vom 11. Juli 2017, Az: X ZB 2/17).

Soweit aus der bisher hierzu veröffentlichten Pressemitteilung des Bundesgerichtshofes ersichtlich, folgte das Gericht der Einschätzung des Bundespatentgerichts in wesentlichen Punkten. Maßgeblich war einerseits, dass der Bestand des Patents keineswegs gesichert ist, da vor dem Europäischen Patentamt noch ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Daneben scheint der Bundesgerichtshof auch die Einschätzung des Bundespatentgerichts zu teilen, dass das für eine Zwangslizenz erforderliche öffentliche Interesse an der schnellen Erlaubnis zur Nutzung des patentierten Wirkstoffs besteht. Der Wirkstoff Raltegravir scheint einzigartig zu sein bei der Behandlung von Säuglingen, Kindern und Schwangeren sowie Personen, die wegen bestehender Infektionsgefahr eine vorsorgende Behandlung benötigen. Hinzu kam der Schutzbedarf derjenigen Patienten, die bereits vor dem Gerichtsverfahren mit dem Medikament Isentress behandelt worden sind und denen bei einer Umstellung der Medikation auf ein ähnlich wirkendes Medikament möglicherweise Neben- und Wechselwirkungen drohen.

Die Entscheidungen von BPatG und BGH sind in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. In Deutschland war überhaupt erst einmal eine Zwangslizenz nach § 24 PatG erteilt, die Entscheidung dann aber in der nächsten Instanz wieder aufgehoben worden. Zu der bestandskräftigen Gestattung einer patentgeschützten Lehre im einstweiligen Rechtsschutz nach § 85 PatG ist kein Fall bekannt, in dem eine Entscheidung rechtskräftig geworden wäre.

Obwohl das Urteil des Bundesgerichtshofes als Zeichen dahin gedeutet werden kann, dass auch die Hauptsache zugunsten der Zwangslizenznehmer ausgeht, ist eine endgültige Entscheidung in der Sache noch nicht gefallen. In dem anstehenden Hauptsacheverfahren hat das Bundespatentgericht in I. Instanz erneut über den Bestand der Zwangslizenz zu befinden. Das parallel laufende Verletzungsverfahren, das die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin vor dem Landgericht Düsseldorf angestrengt hatte, ist ausgesetzt bis zur Entscheidung des Europäischen Patentamts über den Einspruch gegen den Bestand des Patents. Möglicherweise wird sich der Fall daher dahingehend auflösen, dass mit Aufhebung des Patents der Wirkstoff Raltegravir zur allgemeinen Benutzung gemeinfrei wird. Trotzdem hat die Entscheidung jetzt schon Rechtsgeschichte geschrieben. Sie gab den entscheidenden Gerichten Gelegenheit, zur genauen Ausgestaltung des Kriteriums des öffentlichen Interesses in § 24 PatG Stellung zu nehmen. Abzuwarten bleibt, ob die Entscheidung dem § 24 PatG wieder zu einer Renaissance verhelfen wird. Die Vorschrift war zuletzt in den Hintergrund getreten, weil Anträge auf Erteilung einer Zwangslizenz bislang fast immer aussichtslos waren.

Autoren: Dr. Oliver Stegmann, Dr. Maria Pregartbauer

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