Kaum eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) im gewerblichen Rechtsschutz wurde in der Vergangenheit so kontrovers diskutiert wie die zu den Rückrufpflichten im Kontext mit Unterlassungsansprüchen (siehe ESCHE Blogbeiträge vom 20. Februar 2017: „Was raus ist, ist raus“ gilt nicht mehr und vom 31. August 2017: Es geht weiter – Einzelheiten zur Rückrufpflicht bei Unterlassungsansprüchen). Vor allem in einstweiligen Verfügungsverfahren, mit denen Unterlassungsansprüche in der Regel sehr schnell durchgesetzt werden, besteht bei der Rechtsprechung des BGH die Gefahr, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden. Das sollte bei dieser Verfahrensart eigentlich gerade ausgeschlossen sein.

OLG Düsseldorf versteht Unterlassungsanspruch enger
Zu den Kritikern dieser Rechtsprechung gehört vor allem das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. Es hat nun schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit den Umfang des Unterlassungsanspruchs enger verstanden als der BGH und ist damit von dessen Rechtsprechung abgewichen (OLG Düsseldorf Beschluss vom 14. Februar 2019 – Az. I-20 W 26/18). Gegenstand des Beschlusses des OLG ist das diätetische Lebensmittel „Tinnitus X“. Der Antragsgegnerin war vom Landgericht Düsseldorf untersagt worden, ihr Produkt „Tinnitus X“ in den Verkehr zu bringen oder zu bewerben. Doch welche Pflichten umfasst dieses Verbot? War die Antragsgegnerin auch verpflichtet, „Tinnitus X“ aktiv aus dem Verkehr zu ziehen?

Anders als der BGH argumentiert das OLG Düsseldorf, dass neben der reinen Verpflichtung, den Vertrieb einzustellen, keine weitergehenden Handlungen der Antragsgegnerin erforderlich seien. Somit müssten die Handels- und Drogerieketten, über die das Produkt verkauft wurde, von der Antragsgegnerin nicht aktiv aufgefordert werden, den Verkauf einzustellen. Kern der Argumentation des OLG ist, dass eine Pflicht zur Unterlassung eben keine Pflicht zu aktiven Handlung umfasse. Eine Rückrufpflicht bestehe erst dann, wenn sie der Gesetzgeber, wie etwa im Patentrecht (§ 140a Abs. 3 PatG), ausdrücklich normiert habe, so das Gericht.

Der BGH sieht demgegenüber auch in Fällen, in denen so eine Regelung fehlt, eine Rückrufpflicht. Den Schuldner träfen grundsätzlich mögliche und zumutbare Handlungen zur Beseitigung eines Störungszustands. Trotz der Kritik an dieser Rechtsprechung blieb der BGH seiner Linie bislang weitestgehend treu. Erst in seiner Entscheidung „Produkte zur Wundversorgung“ aus dem November 2017 (Az. I ZB 96/16) entschärfte er die Rückrufpflicht leicht. In Ausnahmefällen im einstweiligen Verfügungsverfahren bestehe eine Rückrufpflicht nicht, so der BGH.

BGH entscheidet im Rahmen der Rechtsbeschwerde
Jetzt hat der BGH im Rahmen einer Rechtsbeschwerde das letzte Wort über den Beschluss des OLG. Ob er die Gelegenheit nutzt, seine Rechtsprechung weiter zu entschärfen, bleibt abzuwarten. Wegen der Änderung der Besetzung des I. Zivilsenats seit der letzten Entscheidung zu dieser Thematik scheinen die Karten jedenfalls neu gemischt.

Dazu passende Artikel