Die Entscheidung des BAG zu Coronapandemie, Betriebsschließung und Betriebsrisiko (BAG v. 13.10.2021 – 5 AZR 211/21, dazu ESCHE blog v. 18.10.2021 auf Grundlage der Pressemitteilung des BAG und ESCHE blog v. 19.01.2022) erscheint auf den ersten Blick für den Arbeitgeber versöhnlich. Die Entscheidungsgründe skizzieren nun aber zugleich ein Haftungsrisiko für den Arbeitgeber.

Typisches Betriebsrisiko des Arbeitgebers

Der Arbeitnehmer verliert seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich wird, ohne dass ihn oder den Arbeitgeber daran ein Verschulden trifft („ohne Arbeit kein Lohn“). Im Arbeitsrecht gilt jedoch die Besonderheit, dass der Arbeitgeber nach § 615 S. 3 BGB weiterhin zur Zahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet bleibt, wenn er das Risiko des Arbeitsausfalls trägt (sog. Betriebsrisiko). Von dem Betriebsrisiko werden Störungen umfasst, die den im Betrieb liegenden Gründen zuzuordnen sind, etwa beim Ausfall von Maschinen, Rohstoffen oder sonstigen Betriebsmitteln (BAG v. 23.09.2015 – 5 AZR 146/14), bei Überflutung eines Betriebsgebäudes aufgrund einer Naturkatastrophe (BAG v. 23.09.2015 – 5 AZR 146/14) oder dessen Zerstörung durch einen Brand (BAG v. 28.09.1972 – 2 AZR 506/71).

Allgemeiner „Lockdown“ kein typisches Betriebsrisiko des Arbeitgebers

Das BAG (BAG v. 13.10.2021 – 5 AZR 211/21) hat nun geklärt, dass eine pandemiebedingte behördliche allgemeine Betriebsschließung („Lockdown“) nicht dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers sondern dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen ist, dazu ESCHE blog v. 18.10.2021 auf Grundlage der Pressemitteilung des BAG und ESCHE blog v. 19.01.2022

Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen unterlassener Kurzarbeit

Wenig Beachtung hat aber die Kehrseite der Medaille gefunden, die auszugsweise lautet: "Liegen die Voraussetzungen für Kurzarbeit vor und können dadurch die durch die staatlich verfügte Betriebsschließung entstehenden finanziellen Nachteile für die Arbeitnehmer abgemildert werden, dürfte der Arbeitgeber – vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls – aufgrund seiner Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet sein, von diesem Instrument Gebrauch zu machen und seinen Beschäftigten den Bezug von Kurzarbeitergeld zu ermöglichen. Anderenfalls könnte er sich in Höhe des entgangenen Kurzarbeitergelds gegenüber den anspruchsberechtigten Arbeitnehmern (§ 95 SBG III) nach § 280 Abs. 1 BGB schadenersatzpflichtig machen.

Durch die Hintertür des Schadensersatzes kann der Arbeitnehmer im Umfang entgehenden Kurzarbeitergeldes damit am Ende unter Umständen doch einen finanziellen Ausgleich außerhalb des vom Arbeitgeber nach § 615 S. 3 BGB zu tragenden Betriebsrisikos erlangen. In dem Fall des BAG kam es darauf nicht an, da der klagende Arbeitnehmer die persönlichen Voraussetzungen für den Bezug des Kurzarbeitergeldes gerade nicht erfüllte.

Zudem: Finanzielle Belastungen des Arbeitgebers während der Kurzarbeit

Das BAG hat sich zudem nicht mit der Frage befasst, ob einem Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Treuepflicht, wenn der Arbeitgeber keine Kurzarbeit einführt, nicht die wirtschaftlichen Belastungen der Kurzarbeit entgegenstehen. Vielfach ist in Tarifverträgen zwingend eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes vorgesehen. Außerhalb der Ausnahmebestimmungen während der Pandemie und der früheren Bankenkrise trägt der Arbeitgeber zudem die auf das Kurzarbeitergeld entfallenden vollen Sozialabgaben. Die vom BAG angenommene Verpflichtung zur Einführung von Kurzarbeit trotz eigentlicher Leistungsfreiheit nach Betriebsrisikogrundsätzen wird daher weitere rechtliche Auseinandersetzungen auslösen, da das BAG sich mit all dem nicht befasst hat.  

Fazit 

Die Formulierung des BAG schafft für das Betriebsrisiko Klarheit, im Falle der unterlassenen Einführung von Kurzarbeit jedoch erhebliches Risikopotential. Der Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer außerhalb des Betriebsrisikos nicht beschäftigen kann, ist aus seiner allgemeinen Rücksichtnahmepflicht heraus verpflichtet, Kurzarbeit bei Erfüllung ihrer Voraussetzungen einzuführen und macht sich anderenfalls schadensersatzpflichtig. Die Entscheidung zeigt, dass der Arbeitgeber nicht nur im unmittelbaren eigenen Interesse gehalten ist, die Voraussetzungen zu prüfen, unter denen die Einführung von Kurzarbeit möglich ist. Die offen gebliebenen Fragen zeigen demgegenüber, dass ein Arbeitgeber sich mit durchaus beachtlichen Argumenten gegen solche vermeintlichen Schadensersatzpositionen wehren kann und dies einer abschließenden Klärung bedarf.

Autoren: Dr. Erwin Salamon , Yannick Maaß

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