Das Internet vergisst nicht. Wer sich Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet ausgesetzt sieht, steht vor der Wahl, ob er gegen die Quelle der Rechtsverletzung (Online-Magazin, Blog, Bewertungsplattform etc.) oder gegen Suchmaschinen, die auf den rechtsverletzenden Beitrag verlinken, vorgehen soll. Das OLG Karlsruhe gibt hierzu in seinem Urteil vom 10. Juni 2020 (Az.:¨6 U 129/18) wichtige Orientierung.
Sachverhalt
Der Kläger war 1988 wegen Raubmordes angeklagt und in diesem Verfahren freigesprochen worden, weil seine Täterschaft nicht nachgewiesen werden konnte. Anschließend überfiel und ermordete er gemeinsam mit einem weiteren Täter drei Menschen. Er wurde wegen dieser Taten zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Jahr 2014 wurde der Kläger aus der Haft entlassen.
Ein vor über 30 Jahre erschiene Zeitschriftenartikel befasste sich mit der Tat und der grundsätzlichen Problematik, dass Täter, denen ein Verbrechen nicht nachgewiesen werden kann, freigesprochen werden und ggf. sofort das nächste Verbrechen begehen. Der Kläger wendet sich dagegen, dass dieser Artikel über die von der Beklagten betriebene Internet-Suchmaschine noch heute abgerufen werden kann.
Entscheidung des OLG Karlsruhe
Das OLG Karlsruhe sah wie die Vorinstanz die Klage als unbegründet an.
Im Hinblick auf die §§ 823, 1004 BGB komme ein Unterlassungs- oder Löschungsanspruch gegen den Betreiber einer Internet-Suchmaschine nur in Betracht, wenn dieser auf den Rechtsverstoß hingewiesen werde und die Rechtsverletzung offensichtlich und auf den ersten Blick klar erkennbar sei (vgl. BGH, Urteil vom 27.02.2018, Az.: VI ZR 489/16 - Juris-Rn. 35 ff.). Eine offensichtliche und auf den ersten Blick klar erkennbare Rechtsverletzung liege hier aber nicht vor: Es sei zwar zu berücksichtigen, dass der Kläger unter den heutigen Nutzungsgewohnheiten des Internets fürchten müsse, dass Freunde, Nachbarn und insbesondere neue Bekannte schon aus einem oberflächlichen Informationsinteresse heraus den Namen des Klägers im Suchfeld einer Suchmaschine eingeben. Dadurch werde die Wiedereingliederung des Klägers in die Gesellschaft nach der Verbüßung seiner Haftstrafe erheblich erschwert. Auf Seiten der Beklagten müssten aber die Meinungs- und Pressefreiheit berücksichtigt werden. Zwar nehme das öffentliche Informationsinteresse mit dem Zeitablauf ab. Das Zurücktreten des öffentlichen Informationsinteresses könne aber auch nach längerem Zeitablauf nicht ohne weiteres unterstellt werden.
Auch Artikel 17 Abs. 1 DS-GVO („Recht auf Vergessenwerden“) stütze das klägerische Begehren nicht: Nach Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe f) DS-GVO bestehe ein Löschungsanspruch, wenn das Schutzinteresse des Klägers das Veröffentlichungsinteresse des Suchmaschinenbetreibers überwiegen würde. Ein solches Überwiegen sei hier nicht festzustellen: Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht gegen den Betreiber des Online-Magazins vorgegangen sei, obwohl dieser in Deutschland seinen Sitz habe. Denn im Ausgangspunkt sei der Inhalteanbieter für die Veröffentlichung verantwortlich und ihm stünden auch geeignete technische Mittel zur Verfügung, um die Daten zwar generell auffindbar zu halten, sie aber vor Suchanfragen mit personalisierten Schlagworten zu verbergen oder sie vollständig zu anonymisieren. Bei einem Vorgehen gegen einen einzelnen Suchdienstanbieter bleibe der beanstandete Beitrag zudem mit anderen Suchmaschinen auffindbar. Wenn der betroffene dies toleriere, obwohl der mit dem gleichen Aufwand und den gleichen Erfolgsaussichten auch den Inhalteanbieter belangen und die Beeinträchtigung insgesamt beseitigen könne, widerspreche sein Vorgehen der subjektiven Dringlichkeit seines Begehrens und schwäche das Gewicht seines Interesses.
Praxishinweis
Gegen Suchmaschinen vorzugehen macht unter praktischen Gesichtspunkten häufig Sinn, insbesondere wenn der Inhalteanbieter im Ausland sitzt oder die angegriffenen Inhalte in einer Vielzahl von Blogs o. Ä. verbreitet werden. Außerdem tragen Suchmaschinen nach der Erfahrung ganz entscheiden zur Verbreitung rechtswidriger Inhalte bei. Wenn der beanstandete Beitrag aber nur von einem einzigen Inhalteanbieter bereitgestellt wird, der im Inland ansässig ist, muss der Kläger auch gegen den Inhalteanbieter selbst vorgehen, wenn er nicht das Risiko eingehen möchte, dass ihm das Rechtsschutzinteresse abgesprochen wird.