Industrie und Handel verwenden immer häufiger Konsignationslager, um den kurzfristigen Warenbedarf ihrer Kunden sicherzustellen. Im Fall einer grenzüberschreitenden Einlagerung in einem anderen EU-Staat stellte sich bislang stets die Frage, ob eine umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung des Lieferers vorliegt oder ob dieser selbst im Ausland umsatzsteuerliche Pflichten erfüllen muss. Der BFH bejaht die Umsatzsteuerfreiheit nun für Fälle, in denen der Abnehmer bereits zu Beginn des Warentransports feststeht.

Insbesondere Unternehmen im Bereich des produzierenden Gewerbes arbeiten häufig auf Basis einer Just-in-Time-Produktion. Die für den Produktionsprozess benötigten Teile müssen daher kurzfristig bereit stehen. Um Produktionsausfälle durch Lieferschwierigkeiten zu vermeiden, richten viele Lieferanten sogenannte Konsignationslager für ihre Kunden des produzierenden Gewerbes ein. In diesen Lagern werden die Waren für den Kunden bereitgestellt. Aber auch im Handel und anderen Bereichen der Industrie werden Konsignationslager betrieben, um dem Kunden einen möglichst kurzfristigen Warenzugriff zu ermöglichen. Zu einem Kaufvertrag und der Übereignung der Ware kommt es in allen Fällen regelmäßig erst, wenn der Kunde die Ware aus dem Lager entnimmt.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung führt der Umstand, dass die Verfügungsmacht an der Ware erst mit deren Entnahme vom Lieferer auf den Kunden übergeht, dazu, dass bei grenzüberschreitenden Transporten in Konsignations- oder Auslieferungslager innerhalb der EU zwei umsatzsteuerlich relevante Vorgänge vorliegen. Zum einen soll ein sogenanntes innergemeinschaftliches Verbringen gegeben sein. Der aus Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat der EU transportierende Lieferer muss daher grundsätzlich ein umsatzsteuerfreies innergemeinschaftliches Verbringen erklären, zugleich im anderen Mitgliedstaat generell aber einen innergemeinschaftlichen Erwerb umsatzversteuern. Zum anderen soll die Entnahme der Ware aus dem Lager durch den Kunden eine Lieferung des Lieferers an seinen Kunden darstellen, die dann nach dem Umsatzsteuerrecht des jeweiligen Mitgliedstaates des Kunden zu beurteilen ist. Aufgrund dessen ist es bislang grundsätzlich erforderlich, dass der Lieferer sich im anderen Mitgliedstaat steuerlich registriert und dort Umsatzsteuererklärungen abgibt. In der Praxis verschaffen bereits heute vereinzelt Vereinfachungsregeln anderer Mitgliedstaaten Abhilfe, wonach nur eine innergemeinschaftliche Lieferung an den Kunden statt zwei gesondert zu betrachtender Vorgänge vorliegt. Diese Vereinfachungsregeln werden von der deutschen Finanzverwaltung grundsätzlich auch für die Umsatzbesteuerung in Deutschland anerkannt. Ihre Anwendung ist allerdings stets an bestimmte Faktoren geknüpft, die nicht in jedem Einzelfall vorliegen.

Wegen des außerhalb dieser Vereinfachungsregelungen bestehenden erheblichen administrativen Aufwands traten die Steuerpflichtigen der Auffassung der Finanzverwaltung in der jüngeren Vergangenheit daher vermehrt erfolgreich entgegen. Die Finanzgerichte Düsseldorf, Hessen und Niedersachsen haben für grenzüberschreitende Lieferungen in Konsignationslager in der EU entschieden, dass diese Lieferungen dann insgesamt als eine umsatzsteuerfreie Lieferung anzusehen sind, wenn der Abnehmer der Ware zu Beginn der Waren-beförderung bereits feststeht. Eine höchstrichterliche Entscheidung dieser Streitfrage war bislang jedoch offen.

Entscheidung des BFH zur Lieferung in Konsignationslager
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Entscheidungen der Finanzgerichte nun mit Urteil vom 20.10.2016 (Az.: V R 31/15) erfreulicherweise bestätigt. Der BFH stellt in seiner Entscheidung ausdrücklich klar, dass die nur vorübergehende und kurzfristige Einlagerung der Ware in ein Konsignationslager, das auf Initiative des Kunden eingerichtet wurde und auf welches dieser uneingeschränkten Zugriff hat den Warentransportvorgang nicht unterbricht. Dementsprechend ist der in Deutschland beginnende Warentransport grundsätzlich insgesamt als in Deutschland umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen, wenn der Abnehmer der Ware zu Beginn des Transports in ein Lager der o. g. Art bereits feststeht. Die gegenteilige Ansicht der Finanzverwaltung hält der BFH für nicht zutreffend.

Folgen für die Praxis
Die Entscheidung des BFH kann weitreichende umsatzsteuerliche Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Handel innerhalb der EU haben. Unternehmen, die für ihre Abnehmer Waren in Konsignationslagern oder Auslieferungslagern bereitstellen, werden durch die Rechtsprechung grundsätzlich erheblich entlastet. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Vereinfachungsregelungen sind aus Sicht des BFH in vergleichbaren Fällen nicht mehr ein innergemeinschaftliches Verbringen und ein innergemeinschaftlicher Erwerb sowie eine nachfolgende lokale Lieferung im anderen EU-Mitgliedstaat zu erklären. Vielmehr kann der Unternehmer aus Sicht des BFH nun eine grundsätzlich umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung der Ware erklären, wenn der Abnehmer zu Beginn des Warentransports bereits feststeht.

Ob das Urteil des BFH in der Praxis aber tatsächlich zu Vereinfachungen führen wird, bleibt indes abzuwarten. Zum einen ist bislang offen, wie die Finanzverwaltung auf das Urteil reagieren wird. Häufig werden unliebsame Entscheidungen des BFH nicht über den Einzelfall hinaus angewandt. Die Steuerpflichtigen könnten die für sie günstige Rechtsprechung des BFH dann allenfalls im Klagverfahren durchsetzen. Zum anderen ist jeweils zu prüfen, ob der andere Mitgliedstaat eine von der deutschen Auffassung abweichende Rechtsansicht vertritt. In diesen Fällen kann es aufgrund des ausländischen Umsatzsteuerrechts erforderlich sein, dass die liefernden Unternehmer sich in anderen Mitgliedstaaten steuerlich registrieren lassen müssen, obwohl aus Sicht des BFH eine umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt.

Autoren: Melanie Weist, Simon Pommer, LL.M.