In unserem Blog hatten unsere Rechtsanwälte Dr. Erwin Salamon und Yannick Maaß bereits nach Veröffentlichung der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) über die Entscheidung vom 13. Oktober 2021 berichtet, wonach der Arbeitsgeber für die Dauer eine Corona-bedingten behördlichen Schließungsanordnung dem Arbeitnehmer keine Vergütung wegen Annahmeverzugs schuldet. Nun liegen die Entscheidungsgründe des Urteils vor, die wichtige Hinweise enthalten und die Frage aufwerfen, ob ein Arbeitgeber anstatt der Vergütung eventuell Schadenersatz schulde, wenn er kein Kurzarbeitergeld beantragt.
Keine „höhere Gewalt“ bei behördlicher Corona-bedingter Betriebsschließung
In der lesenswerten Entscheidung prüft das BAG schulmäßig die Voraussetzungen des Annahmeverzugs und zeigt die Grundsätze der sog. Betriebsrisikolehre auf. Nach § 615 S. 1 u. 3 BGB kann der Arbeitnehmer den sog. Annahmeverzugslohn beanspruchen, wenn der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt (sog. Betriebsrisiko). Es ist das Risiko des Arbeitgebers seinen Betrieb betreiben zu können (vgl. BAG v. 23.09.2015 - 5 AZR 146/14). Dieses Betriebsrisiko realisiert sich bei internen Betriebsstörungen sowie bei von außen auf den Betrieb einwirkenden Umständen, die sich als höhere Gewalt darstellen, wie etwa Naturkatastrophen, Brände oder dem Maschinenstillstand wegen Zusammenbruch der Energieversorgung. Davon zu unterscheiden sind Hindernisse, die ihre Ursache im Wegerisiko haben, welches der Arbeitnehmer trägt (z. B. Schneefall und sonstige widrige Wetterbedingungen, die das pünktliche Erscheinen zur Arbeit erschweren).
Im Streitfall hatte der Arbeitsausfall seine Ursache in der Betriebsschließung, die allgemein – d. h. betriebsübergreifend – zur Pandemiebekämpfung durch Allgemeinverfügung der Stadt Bremen während des ersten Lockdowns im April 2020 angeordnet war. In einem solchen Fall realisiert sich gerade nicht ein in einem bestimmten Betrieb aufgrund seiner konkreten Produktions- und Arbeitsbedingungen angelegtes Risiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage, die der einzelne Arbeitgeber nicht – auch nicht im weitesten Sinne – verursacht und zu verantworten hat. Höhere Gewalt stellt insoweit die Pandemie bzw. der Krankheitserreger dar, nicht jedoch die aufgrund politischer Entscheidung erfolgte Anordnung zur Schließung bestimmter Betriebe.
Lohnanspruch bleibt bestehen bei im Betrieb angelegten besonderen Risiko
Wurde die behördliche Maßnahme jedoch erlassen, um einem besonders im Betrieb des Arbeitgebers angelegten Risiko zu begegnen, hat der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls zu tragen. Dazu muss dieses Risiko durch konkrete Produktions- und Arbeitsbedingungen angelegt sein und die behördliche Schließungsanordnung bezwecken, diese Gefahrenlage einzudämmen. Dafür reicht allein die "(besondere) Eigenart" des Betriebes oder seine "Publikumsaffinität" nicht aus. Notwendig ist vielmehr eine hinzukommende objektive Verantwortung des Arbeitgebers für die Arbeits- und Produktionsbedingungen in dem betroffenen Betrieb, welche beispielsweise die Verbreitung eines Krankheitserregers in besonderer Weise begünstigen. Darunter fallen Produktionsmethoden oder -bedingungen, die der Arbeitgeber gewählt oder zu verantworten hat.
Schadensersatzpflicht bei schuldhaft unterlassenem Kug-Antrag
Das BAG führt in beachtlicher Weise, ohne dass es entscheidungsrelevant gewesen wäre, zudem aus, dass Arbeitgeber sich gegenüber Arbeitnehmern schadensersatzpflichtig machen können, wenn sie von dem Instrument der Kurzarbeit keinen Gebrauch machen, obwohl dessen Voraussetzungen vorliegen, und dies eine Möglichkeit bietet, die durch die behördlich veranlasste Betriebsschließung entstandenen finanziellen Nachteile für den Arbeitnehmer abzumildern. Dies ergebe sich aus der Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB. Dabei ließ das Gericht offen, wie weit die Handlungspflichten des Arbeitgebers im Einzelnen reichen. In der Vergangenheit folgten auf derartige nicht entscheidungserhebliche Aussagen der Richter oftmals entsprechende Urteile in anderen künftigen Prozessen, so dass abzuwarten ist, ob demnächst eine entsprechende Schadenersatzklage eines Arbeitnehmers vom BAG in Erfurt behandelt wird.
Hohe Anforderungen bei betriebsbedingter Kündigung
In den Entscheidungsgründen wird ferner das Verhältnis von vorübergehender behördlicher Schließungsanordnung zu betriebsbedingten Kündigungen angesprochen, wie sie oftmals von Arbeitgebern im ersten Halbjahr 2020 erwogen und teilweise wegen der unsicheren wirtschaftlichen Lage auch vollzogen wurden. Dass dem Arbeitgeber zur Begrenzung seines Betriebsrisikos grundsätzlich die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung zur Verfügung stand, habe nach Auffassung der Richter auf die Risikoverteilung und die Frage des Annahmeverzugslohnanspruchs keine Auswirkung. Das BAG stellt in diesem Zusammenhang jedoch klar, dass der vorübergehende Charakter der behördlich angeordneten Betriebsschließung mit dem Ultima-Ratio-Prinzip nur schwerlich zu vereinbaren sei, jedenfalls solange der Arbeitgeber die behördliche Anordnung nicht zum Anlass nimmt, seinen Betrieb endgültig stillzulegen. Voraussetzung einer betriebsbedingten Kündigung ist, dass aufgrund der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitsgebers der Beschäftigungsbedarf dauerhaft entfällt. Im Kündigungsschutzprozess reicht es zur Darlegung des dauerhaften Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs nicht aus, sich auf die unsichere wirtschaftliche Situation und eine vorübergehende Schließungsanordnung zu stützen. Es muss vielmehr als innerbetriebliche Ursache eine Reorganisations- oder Stilllegungsentscheidung vom Arbeitgeber schlüssig dargelegt und bewiesen werden können. Im Idealfall werden diese Entscheidungen vor dem Zugang einer Kündigung zu Beweiszwecken dokumentiert. Nach dem Hinweis des BAG ist davon auszugehen, dass im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erklärte betriebsbedingte Kündigungen von der Rechtsprechung weiterhin streng überprüft und hohe Anforderungen an den arbeitgeberseitigen Tatsachenvortrag gestellt werden.
Fazit
Die Entscheidung des BAG enthält die nicht nur für geringfügig Beschäftigte, sondern allgemein für alle Arbeitsverhältnisse gültige Klärung, welche Arbeitsvertragspartei das Risiko der Corona-bedingten behördlichen Schließungsanordnung trägt. Aktuell sind von allgemeingültigen behördlichen Schließungsanordnungen insbesondere Musikclubs und Diskotheken betroffen. Arbeitgeber, die aktuell oder künftig sich vor der Entscheidung sehen, Arbeitnehmer wegen der wirtschaftlichen Situation entlassen zu müssen, ist zu empfehlen, die betriebsbedingte Kündigung sorgsam ggf. unter Hinzuziehung von Rechtsrat vorzubereiten, um den strengen Anforderungen der Arbeitsgerichte zu entsprechen und hohe Abfindungszahlungen sowie ggf. sogar Schadenersatzforderungen der Arbeitnehmer wegen der unterlassenen Beantragung von Kurzarbeitergeld vermeiden zu können.
Unter der Mitarbeit von Marieke Gerlof.