Das LAG Mainz (Urteil vom 14.01.2021 – 5 Sa 267/19) hatte einen Fall zu entscheiden, in dem ein Schwerbehinderter den Arbeitgeber nicht auf die Schwerbehinderung hingewiesen hatte. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Schwerbehinderte Abgeltung u. a. des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen, weil der Arbeitgeber (der die Schwerbehinderung nicht kannte) den Arbeitnehmer nicht auf die Notwendigkeit der Inanspruchnahme eines solchen Urlaubs hingewiesen hatte, um einen Verfall zu vermeiden.
Hinweisobliegenheit des Arbeitgebers
Hintergrund des Falles ist die sogenannte Hinweisobliegenheit des Arbeitgebers. In Umsetzung einer Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum europarechtlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub folgt die Rechtsprechung des BAG (u.a. Urteil vom 19.02.2019 - 9 AZR 423/16) der Auffassung einer sogenannten Hinweisobliegenheit des Arbeitgebers als Voraussetzung für einen Verfall von Urlaubsansprüchen.
Gem. § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen Urlaubsansprüche, wenn der Arbeitnehmer diese nicht bis zum Ende des Urlaubsjahres in Anspruch genommen hat und erfolgt eine Übertragung bis zum 31.03. des Folgejahres nur dann, wenn während des Urlaubsjahres dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Umstände der Inanspruchnahme des Urlaubs entgegenstanden.
Der EuGH (Urteil vom 06.11.2018 – C-684/16) hatte eine solchen Verfall nur dann anerkannt, wenn der Arbeitgeber darüber hinaus durch einen Hinweis in völliger Transparenz dafür Sorge getragen hatte, dass der Arbeitnehmer zur Inanspruchnahme seines Urlaubs in Kenntnis des möglichen Verfalls angehalten hatte. Das BAG (Urt. v. 19.02.2019 – 9 AZR 541/15 ) hat bereits Hinweise gegeben, wie Arbeitgeber dem nachkommen können (Urlaub richtig verfallen lassen – das rät das BAG).
Bereits geklärt: gleiches gilt bei Zusatzurlaub Schwerbehinderter
Zwar ist der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nicht im europäischen Recht verankert, so dass unmittelbar aus der Rechtsprechung des EuGH für den Zusatzurlaub schwerbehinderter Menschen nichts hergeleitet werden kann. Allerdings hat das BAG angenommen, dass der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX auf fünf Urlaubstage jährlich das Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs nach dem Bundesurlaubsgesetz teile (Urt. vom 22.01.2019 – 9 AZR 45/16). Auch dieser Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen verfällt daher nur, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor auf diesen Urlaub und den möglichen Verfall bei fehlender rechtzeitiger Inanspruchnahme hinweist.
Arbeitsgericht: Hinweisobliegenheit für nicht bekannte Urlaubsansprüche
Weiß der Arbeitgeber nicht um die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers oder eine Gleichstellung, sind ihm die tatsächlichen Voraussetzungen für die Entstehung des Zusatzurlaubes schwerbehinderter Menschen aus § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX nicht bekannt. Der Arbeitgeber kann in diesem Falle der Obliegenheit nicht gerecht werden, den Arbeitnehmer über den Verfall eines konkreten Urlaubsanspruchs in Kenntnis zu setzen. Er kann allenfalls abstrakt über alle möglichen denkbaren Urlaubsansprüche belehren und auch deren Verfall bei fehlender rechtzeitiger Inanspruchnahme in den Raum stellen. Das Arbeitsgericht als Vorinstanz hatte eine solche Hinweisobliegenheit des Arbeitgebers noch angenommen. Der Arbeitgeber sei gehalten, den Arbeitnehmer – ungeachtet der Kenntnis von einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung – darauf hinzuweisen, dass im Falle eines solchen Status ein Zusatzurlaub entstünde und dieser bei nicht rechtzeitiger Inanspruchnahme verfalle.
LAG: keine Hinweispflicht ins Blaue hinein
Das LAG hat in der Entscheidung darauf abgestellt, dass eine solche Anforderung nicht zu rechtfertigen sei. Zwar treffe den Arbeitgeber die Initiativlast für die Erfüllung der Hinweisobliegenheit. Eine solche Obliegenheit entstehe jedoch nur für solche Ansprüche, deren Voraussetzungen dem Arbeitgeber bekannt seien. Sofern der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf den Status als schwerbehinderter Mensch oder Gleichgestellter nicht hinweist und der Arbeitgeber hiervon auch keine anderweitige Kenntnis hat, entsteht für solche Urlaubsansprüche keine Hinweisobliegenheit und richtet sich der Verfall unabhängig von einem Hinweis des Arbeitgebers allein nach § 7 Abs. 3 BurlG. Aus diesem Grunde seien solche (verfallenen) Urlaubsansprüche ebenfalls keiner Abgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugänglich.
Fazit
Die Entscheidung überzeugt. Die Rechtsprechung des EuGH hat bereits Kritik erfahren, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer überhaupt auf einen Verfall der Urlaubsansprüche hinweisen muss. Eine Legitimation erfährt die Hinweisobliegenheit daraus, dass insbesondere die Mitteilung einer konkreten Anzahl an Urlaubstagen dem Arbeitnehmer den konkret zu verbrauchenden Urlaub nochmals konkret vor Augen führt und damit die vom EuGH geforderte Transparenz schafft. Eine abstrakte Hinweisobliegenheit auf (nicht) mögliche Urlaubsansprüche geht demgegenüber von vornherein ins Leere. Derzeit ist ein Revisionsverfahren beim BAG anhängig, in dem diese Frage ggf. abschließend geklärt wird.