Die rasche Ausbreitung des Corona-Virus hat viele Wirtschaftszweige zum Erliegen gebracht. Die Folgen des Lockdowns machen – trotz ihrer „Systemrelevanz“ – auch vor der Abfallwirtschaft nicht halt. Doch vor allzu schnellen Vertragsanpassungen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen sind die jeweiligen Umstände genau in den Blick zu nehmen – und auch die Konsequenzen des Vergaberechts.

Die Corona-Pandemie und der damit einhergehende Lockdown führen nicht nur in der Gastronomie und im Tourismus zu wirtschaftlichem Stillstand. Auch in der Abfallwirtschaft sind die üblichen Marktmechanismen durch die Folgen des Virus beeinflusst. Am Beispiel der Alttextilentsorgung soll aufgezeigt werden, welche Fragen sich etwa hinsichtlich höherer Gewalt stellen und welchen Einfluss das Vergaberecht auch nach Vertragsschluss noch hat.

Preisverfall in der Branche
Unternehmen der Altkleiderbranche sammeln häufig im öffentlichen Auftrag in dezentral aufgestellten Sammelbehältern abzugebende Bekleidung und Alttextilien und sortieren diese in noch tragbare Kleidungsstücke und anderweitig zu entsorgende Alttextilien. Die noch tragbaren Textilien werden oftmals gewinnbringend ins Ausland, etwa Osteuropa oder Asien, veräußert. Dafür zahlen die Unternehmen eine vertraglich festgelegte Vergütung an die Kommunen, für die sie die Alttextilsammlung betreiben. Im Zuge der Corona-Pandemie hat sich der Absatz über diese Wege erschwert: Second-Hand-Läden in den Absatzländern haben geschlossen, Transportwege zur See haben sich verteuert. Die Unternehmen versuchen infolge dessen, ihre Vergütungszahlungen an die Kommunen mit Verweis auf höhere Gewalt oder eine Störung der Geschäftsgrundlage einzustellen, zu reduzieren oder stunden zu lassen.

Aber auch andere Verwertungsbranchen leiden unter den Folgen der Corona-Pandemie. Elektroschrott-Recycler klagen über den Einbruch der abgegebenen Elektroschrottmengen, die Altholzbranche berichtet ebenfalls über stark veränderte Mengenströme. Auch in diesen Wirtschaftszweigen stellen sich die Fragen um Corona-bedingte Anpassungen des Vertragsvollzuges.

Vertragliche Regelungen zu Höherer Gewalt
Zunächst muss zwischen den Corona-bedingten Umständen und davon unabhängigen Marktentwicklungen unterschieden werden. Schon vor Ausbruch der Pandemie sank der für Altkleider zu erzielende Marktpreis. Diese Marktentwicklungen berühren nicht die vertragliche Grundlage zwischen Alttextilsammler und öffentlichem Auftraggeber, sodass die vertraglich vereinbarten Pflichten unverändert bestehen bleiben.

Für Corona-bedingte Entwicklungen hingegen kommen z. B. Zahlungsstundungen wegen höherer Gewalt in Betracht. Oftmals enthalten die Verträge Regelungen bezüglich höherer Gewalt und definieren, wann diese vorliegt. Vertragliche Definitionen sind entscheidend und gehen einem möglicherweise anders lautenden allgemeinen Verständnis höherer Gewalt vor. Sollte der vertraglich vereinbarte Tatbestand der höheren Gewalt erfüllt sein, kann es zu einer Suspendierung der vertraglichen Verpflichtungen kommen.

Doch dies bedeutet nicht zwingend, dass die Vergütungen nach überstandener Krise nicht vollständig für die Vergangenheit gezahlt werden müssten. Oftmals enthalten die Vertragsklauseln Regelungen, wie zu verfahren ist, wenn das Ereignis höherer Gewalt (hier die Corona-Pandemie) entfallen ist. Es gilt also, genau auf die vertraglichen Abreden zu achten.

Störung der Geschäftsgrundlage oder Unmöglichkeit
Sollte der Vertrag nicht durch eine Klausel zur höheren Gewalt die Corona-bedingte Situation regeln, kommt eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB oder die Befreiung von der Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit der Leistung nach §§ 275, 326 BGB in Betracht.

Voraussetzung für eine Anpassung nach § 313 BGB ist eine schwerwiegende Veränderung der tatsächlichen Umstände nach Vertragsabschluss, die außerhalb der vertraglichen Risikozuweisung liegt und dazu führt, dass das Festhalten am unveränderten Vertrag für einen Vertragspartner unzumutbar ist. Sollten diese – eng auszulegenden – Voraussetzungen vorliegen, kommt eine Anpassung des Vertrags in Betracht, um die Beeinträchtigung auszugleichen. Dadurch darf es wiederum nicht zu einer übermäßigen Mehrbelastung des anderen Vertragspartners kommen. Es ist hier jeweils auf die Merkmale des Einzelfalls abzustellen.

Vergaberechtliche Konsequenzen
Wie viele andere Verträge zwischen der öffentlichen Hand und privaten Unternehmen kommen die Verträge mit den Alttextilsammlern in öffentlichen Vergabeverfahren zustande. Die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage sind zwar auch auf Verträge anzuwenden, die im Rahmen eines Vergabeverfahrens zustande gekommen sind. Es ist jedoch umstritten, ob und inwieweit § 132 GWB einer nach § 313 BGB indizierten Vertragsanpassung entgegensteht. Nach dieser Vorschrift sind wesentliche nachträgliche Vertragsänderungen ohne Neuausschreibung nicht zulässig. Auch hier kommt es auf die Regelungen des jeweiligen Vertrages an, ob dieser etwa sog. Überprüfungsklauseln enthält, welche die Vertragsanpassung nach einem zuvor festgelegten Mechanismus gestatten.

Autoren: Dr. Martin Dieckmann, LL.M., Dr. Sven Gutknecht

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