Die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen in § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO ist verfassungswidrig, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5% zugrunde gelegt wird. Der entsprechende Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts wurde heute veröffentlicht. Das Bundesverfassungsgericht ordnet eine rückwirkende Korrektur ab 2019 an.

Der von den Finanzämtern erhobene Zinssatz von 6% p.a. bei verspäteten Steuerzahlungen sei realitätsfern und verfassungswidrig. Die Zinsen gibt es bei der Einkommen-, Körperschaft,- Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer. Sie werden dann erhoben, wenn eine Steuernachzahlung oder –erstattung  erst nach mehr als 15 Monaten nach dem Jahr der Steuerentstehung geleistet wird. Im Gegensatz zu Säumniszuschlägen bei verspäteter Abgabe der Steuererklärung ist der Zins nicht als Bestrafung gedacht. Alle Steuerzahler und Steuerzahlerinnen sollen gleichmäßig belastet werden. Wird ein Teil der Steuer erst im Nachhinein entrichtet oder bleiben zu viel gezahlte Steuern lange beim Finanzamt, ist das Prinzip der Gleichmäßigkeit gestört. Durch die Zinsen sollen Gewinne ausgeglichen werden, welche in dieser Zeit mit dem Geld hätten erwirtschaftet werden können. Die Zinsen werden im Steuerbescheid festgesetzt. Die Verzinsung stellt laut Bundesverfassungsgericht jedoch eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit festgesetzt wird und Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach Ablauf der 15 Monate festgesetzt wird, dar. Die Ungleichbehandlung erweist sich, gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, für die Verzinsungszeiträume ab 2014 als verfassungswidrig. Ein eine geringere Ungleichheit bewirkendes und mindestens gleich geeignetes Mittel zur Förderung des Gesetzeszwecks bestünde in einer Vollverzinsung mit einem niedrigeren Zinssatz. 

Bereits seit 1961 liegt der Zinssatz unverändert bei 6% p.a. Seit  der historischen Niedrigzinsphase nach der Finanzkrise 2008 war hierdurch eine viel kritisierte Schieflage entstanden. Die Zinsen sollten potenzielle Gewinne ausgleichen, die in dieser Höhe am Kapitalmarkt derzeit gar nicht zu erzielen waren. 

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die bestehenden Regelungen für die Jahre 2014 bis 2018 in Kraft bleiben. Das Gericht ordnete jedoch eine rückwirkende Korrektur für alle noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 an.

Wie hoch der Zinssatz künftig sein darf, wurde vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts nicht festgelegt. Der Gesetzgeber ist nunmehr verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.

Praxishinweis

Die Karlsruher Entscheidung umfasst auch die positive Verzinsung von Steuererstattungen. Vor diesem Hintergrund werden nicht alle Steuerzahler und Steuerzahlerinnen von der Neuregelung profitieren. Wer bereits Nachzahlungen für Steuern leisten musste deren Verzinsung in Zeiträume ab 2019 fällt, dürfte einen Teil der hierauf entstandenen Zinsen erstattet bekommen. Hat das Finanzamt jedoch zu viel gezahlte Steuern erstattet, dürfte die Verzinsung teilweise zurückgefordert werden.

Bereits 2018 hat der Bundesfinanzhof für Verzinsungszeiträume ab 2015 "schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit" geäußert. Aufgrund dieser Entscheidungen und der insoweit unklaren Rechtslage, haben die Finanzämter die Zinsen bereits seit Mai 2019 nur noch vorläufig festgesetzt. Diese Bescheide könnten nun unproblematisch nachträglich geändert werden. 

Die vom Bundesverfassungsgericht angeordnete rückwirkende Korrektur ist jedoch dennoch nur für alle formal noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide für die Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 möglich.

Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber für Steuer- und Feststellungserklärungen des Jahres 2019, die unter Einbindung von steuerlichen Beratern erstellt werden, wegen der Corona-Pandemie die ursprünglich geltende Abgabefrist (28.02.2021) um sechs Monate bis zum 31.08.2021 verlängert hat. Bei Land- und Forstwirten mit abweichendem Wirtschaftsjahr gilt eine Fristverlängerung bis zum 31.12.2021 (bisher: 31.07.2021). Da der Zinslauf normalerweise 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Steuerjahres beginnt würde die Verzinsung für 2019 demnach regulär bereits ab dem 01.04.2021 eintreten und somit bereits vor Ablauf der allgemein verlängerten Abgabefristen. Das BMF hat hierzu bereits mit BMF Schreiben vom 17.09.2021 darauf hingewiesen, dass der Zinslauf für das Steuerjahr 2019 aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Änderung erst am 01.10.2021 beginnt. Bei Land- und Forstwirten beginnt der Zinslauf für 2019 erst am 01.05.2022.

Für steuerlich unberatene Bürger ist die reguläre Abgabefrist nicht verlängert worden, d.h. dass für diesen Personenkreis die Frist für die Steuererklärung 2019 bereits am 31.07.2020 abgelaufen ist. Dennoch wurde der Beginn des Zinslaufs auch für diesen Personenkreis auf den 01.10.2021 bzw. 01.05.2022 verlegt.

Unter Mitarbeit von Denise Bunning.

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