Für Unternehmen gibt es verschiedene Möglichkeiten, ihre Produkte an Kunden zu vertreiben. Eine davon ist der Vertrieb durch Handelsvertreter. Handelsvertreter sind rechtlich selbständige Vertriebsmittler, die im fremden Namen und für fremde Rechnung Geschäfte abschließen oder vermitteln.

Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat in einer aktuellen Entscheidung vom 15.07.2015 (Az. T-418/10) entschieden, dass kartellrechtswidriges Verhalten von Handelsvertretern den Unternehmen zuzurechnen ist. Das gilt auch dann, wenn das Unternehmen keine Kenntnis von dem kartellrechtswidrigen Verhalten hatte.
 
Die Europäische Kommission hatte gegen eine Reihe von Spannstahlanbietern hohe Kartellbußgelder verhangen. Ein Unternehmen (die voestalpine AG) hat gegen dieses Bußgeld Klage vor dem EuG erhoben. voestalpine berief sich darauf, dass nicht voestalpine, sondern der Handelsvertreter sich kartellrechtswidrig verhalten habe. Außerdem habe der Handelsvertreter bei den in Rede stehenden kartellrechtswidrigen Handlungen nicht nur voestalpine, sondern auch andere Spannstahlanbieter vertreten.

Das EuG entschied mit vorstehend genanntem Urteil über die Klage von voestalpine mit weitreichenden Konsequenzen für die unternehmerische Vertriebspraxis. Laut dem Gericht ist einem Unternehmer, welcher sich des Handelsvertreters zur Erfüllung seines Vertriebsbegehrens bedient, das kartellrechtswidrige Verhalten seines Handelsvertreters zuzurechnen, sofern Handelsvertreter und Unternehmer eine wirtschaftliche Einheit bilden.
 
Eine wirtschaftliche Einheit liegt vor, wenn der Unternehmer das wirtschaftliche Risiko im Rahmen der Handelsvertretertätigkeit trägt und der Handelsvertreter nicht unabhängig vom Unternehmer agieren kann. Damit ist gemeint, dass der Handelsvertreter nicht in dem selben Markt selbständig und auf eigene Rechnung als Eigenhändler tätig sein darf. Es spielt keine Rolle, ob der Unternehmer selbst kartellrechtswidrig tätig wird oder nur ein von ihm eingesetztes Hilfsorgan.

Weiter sei der Nachweis der Kenntnis des Unternehmens von dem kartellrechtswidrigen Verhalten nicht notwendig, weil das Unternehmen Nutznießer des - durch das kartellrechtswidrige Verhalten - entstandenen Vorteils sei. Auch die Tatsache, dass der Handelsvertreter während des kartellrechtswidrigen Verhaltens noch für andere Unternehmer tätig war, steht einer wirtschaftlichen Einheit und somit einer Zurechnung nicht entgegen, da der Handelsvertreter auch hier nicht als Eigenhändler tätig war, sondern ebenfalls auf fremde Rechnung arbeitete.

Für die Praxis bedeutet das Urteil, dass Unternehmen eine erhöhte Sensibilität im Umgang mit ihren Handelsvertretern aufbringen müssen. Das Nichtkennen von Kartellrechtsverstößen ihrer Handelsvertreter bedeutet nicht automatisch, dass die Unternehmen nicht für kartellrechtswidriges Verhalten haften müssen.

Vielmehr sollte durch eine Einbeziehung der Handelsvertreter in Compliance-Schulungen Kartellrechtsverstößen entgegengewirkt werden, um möglichen Verstößen präventiv entgegenzuwirken. 


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