Immer mehr Arbeitgeber nutzen Personalwirtschaftssysteme mit Onlineportalen, die es u. a. ermöglichen, die Entgeltabrechnungen digital zur Verfügung zu stellen. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hatte hierzu entschieden, dass der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Erteilung der Entgeltabrechnung gem. § 108 Abs. 1 S. 1 GewO nur dann über ein Mitarbeitenden-Portal erfüllen könne, wenn der Mitarbeitende hierzu ihr Einverständnis erteilt habe (mehr dazu in unserem Blog). Fehlt es daran, gehe ihm die Entgeltabrechnung nicht zu (LAG Niedersachsen v. 16.01.2024 – 9 Sa 575/23). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zurück an das Landesarbeitsgericht verwiesen (Urteil v. 28.01.2025 – 9 AZR 48/24 - Pressemitteilung).
Erteilung der Entgeltabrechnung in Textform
Gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 GewO hat der Arbeitgeber bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen.
Gemäß § 126b BGB muss die Erklärung zur Wahrung der Textform
- die Person des Erklärenden (Arbeitgeber) bezeichnen und
- auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden.
Ein dauerhafter Datenträger ist jedes Medium, das
- es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und
- geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben
Insbesondere das Merkmal der Unveränderlichkeit wirft zahlreiche Fragen auf, v.a. hinsichtlich der Administration des Postfachs und der Einräumung von Schreibrechten.
Zustimmung der Mitarbeitenden erforderlich?
Das LAG Niedersachsen (a.a.O.) hatte entschieden, dass der Anspruch auf eine Entgeltabrechnung gegenüber den jeweiligen Mitarbeitenden vom Arbeitgeber durch Bereitstellung der Entgeltabrechnungen in einem Onlineportal zum Download für Mitarbeitende nicht erfüllt wird, sofern diese nicht jeweils individuell diesem Wege einer Übermittlung zugestimmt haben. Dies hatte das LAG Niedersachsen darauf gestützt, dass die Entgeltabrechnung gemäß § 130 BGB dem Arbeitnehmer zugehen müsse. Solange der Arbeitnehmer das digitale Mitarbeiterpostfach nicht als geeignete Empfangsvorrichtung bestimmt habe, müsse er nicht damit rechnen, dass ihm Entgeltabrechnungen digital übermittelt werden. In der Folge gehe die Entgeltabrechnung dem Arbeitnehmer nicht zu, es sei denn, er habe ein ausdrückliches oder zumindest konkludentes Einverständnis abgegeben.
Das BAG (a.a.O.) hat in Abweichung zu der Entscheidung des LAG Niedersachsen festgestellt, dass der Arbeitgeber nicht für den Zugang der Entgeltabrechnung beim Arbeitnehmer verantwortlich sei, sondern dass es sich hierbei um eine sog. Holschuld handele. Eine Holschuld zeichnet sich dadurch aus, dass der Arbeitgeber als Schuldner die Leistung, regelmäßig im Beschäftigungsbetrieb, bereitstellen muss und der Arbeitnehmer die Leistung dort abholt. Der Arbeitgeber erfülle bei einer Holschuld bereits dann den Anspruch auf Erteilung der Entgeltabrechnung, wenn er die Abrechnung an einer elektronischen Abgabestelle bereitstelle. Dabei seien aber die berechtigten Interessen derjenigen Mitarbeitenden zu beachten, die privat nicht über die Möglichkeit eines Online-Zugriffs verfügen.
Regelungen in Betriebsvereinbarungen?
Ist ein Betriebsrat zuständig, stellt sich die Frage, welcher Regelungsspielraum in Betriebsvereinbarungen besteht. LAG Niedersachsen hatte angenommen, dass kein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Form der Entgeltabrechnung bestehe, insbesondere § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG allein die Modalitäten der Auszahlung des Arbeitsentgelts, nicht jedoch der Entgeltabrechnung betreffe.
Aus der Pressemitteilung ergibt sich, dass das BAG dies wohl ebenfalls abweichend beurteilt hat, jedoch an einer abschließenden Entscheidung gehindert war, weil in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall eine Regelung durch Konzernbetriebsvereinbarung getroffen worden war und sich die Frage stellte, ob Einführung und Betrieb des digitalen Mitarbeiterpostfachs in die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats fallen. Das BAG hat aber bereits festgestellt, dass die digitale Zurverfügungstellung der Entgeltabrechnungen nicht unverhältnismäßig in die Rechte der betroffenen Arbeitnehmer eingreift.
Fazit
Die Entscheidung des BAG ist zu begrüßen und erleichtert (neben dem Bürokratieentlastungsgesetz IV) ein Stück weit die Umstellung auf digitale Personalverwaltungssysteme, dies möglicherweise auch unter Einbeziehung von Betriebsräten, sofern vorhanden. Mit Spannung abzuwarten bleiben die Entscheidungsgründe, aus denen sich möglicherweise noch konkrete Handlungsempfehlungen – etwa hinsichtlich Mitarbeitenden ohne Online-Zugangsmöglichkeiten – herleiten lassen könnten.
Über die Entgeltabrechnung hinaus sollten Arbeitgeber insbesondere mit Blick auf gesetzliche Formerfordernisse genau bedenken, welche Erklärungen sie über derartige Portale zu Verfügung stellen, um rechtliche Nachteile zu vermeiden. Auch bleibt für viele Erklärungen, etwa für die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten im Zusammenhang mit dem Verfall von Urlaubsansprüchen, eine weitere Herausforderung, den Zugang der Erklärung rechtssicher nachzuweisen. Die abweichende Beurteilung des BAG hinsichtlich Entgeltabrechnungen lässt sich dogmatisch möglicherweise auf die Einordnung der Entgeltabrechnung als sog. Wissenserklärung stützen. Auch zu dieser Frage bleiben die Entscheidungsgründe abzuwarten.
Jedenfalls bei Willenserklärungen – und damit bei sämtlichen Erklärungen des Arbeitgebers zur Modifizierung des Arbeitsverhältnisses – und sog. rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen (z. B. urlaubsrechtliche Mitwirkungsobliegenheit, Abmahnungen) gilt, dass der Arbeitgeber als Erklärender die Verantwortung und das Risiko für einen wirksamen Zugang trägt. Hier werden die Grundsätze einer Holschuld dem Arbeitgeber daher nicht weiterhelfen. Sollen solche Erklärungen sicher über ein Mitarbeiterportal abgewickelt werden, ist zumindest bis zu einer diesbezüglich abschließenden Klärung in der Rechtsprechung die (wirksame) Einholung der Zustimmung der Mitarbeitenden zu diesem Zugangsweg sicherzustellen.