Die vom EuGH entwickelten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers als Aufforderung an den Arbeitnehmer, Urlaub zu nehmen, dies mit dem Hinweis, dass der Urlaub anderenfalls verfällt, sind bekannt. Das BAG hat nun in zwei Entscheidungen (Urteile vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20 sowie 9 AZR 245/19 - Pressemitteilungen) die Vorgaben des EuGH 

  • zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei Langzeitkranken sowie 
  • zur Verjährung von Urlaubsansprüchen bei Nichterfüllung der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers 

(EuGH vom 22.09.2022 – C-120/21 sowie EuGH vom 22.09.2022 - C-518/20 und C-727/20) umgesetzt. Damit werden zwei bislang offene Punkte im Hinblick auf Auswirkungen der Nichterfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers geklärt. 

Eine wichtige Frage zum Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG bleibt allerdings offen. Der folgende Blog-Beitrag gibt einen Überblick zu möglichen Konstellationen und den Auswirkungen für die Praxis.

Vom BAG behandelte Fälle

  • Verfall von Urlaubsansprüchen eines Arbeitnehmers, der im Urlaubsjahr bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest noch teilweise hätte Urlaub nehmen können, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat (dazu „Arbeitsunfähigkeit und Mitwirkungsobliegenheiten“);
  • Verjährung von Urlaubsansprüchen, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat (dazu „Verjährung und Mitwirkungsobliegenheiten“)

Arbeitsunfähigkeit und Mitwirkungsobliegenheiten

Der Fall betrifft einen Arbeitnehmer, der seit dem 1. Dezember 2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht. Er machte geltend, ihm stünden noch 34 Arbeitstage aus dem Jahr 2014 zu, die nicht verfallen seien, weil die Beklagte ihren Obliegenheiten, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen sei.

Bereits durch den EuGH mehrfach bestätigt wurde die Vereinbarkeit mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88, durch Rechtsvorschrift oder im Wege der Auslegung vorzusehen, dass der Urlaubsanspruch für Urlaubsjahre, in denen der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig krank war, 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres und somit am 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres verfällt (zuletzt EuGH v. 25.06.2020 – C-762/18 und C-37/19).

Ob dies aber auch dann gelte, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, hat das BAG zunächst offengelassen. Später hat das BAG dieses bejaht und den Verfall 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres zugelassen. In diesem Fall sei nicht das Unterlassen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal (BAG vom 07.09.2021 – 9 AZR 3/21, dazu mehr im Blogbeitrag Update Urlaubsrecht: Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei Langzeiterkrankten und Verfall von Urlaubsansprüchen). 
Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens im vorliegenden Rechtstreit war damit allein die Frage, wie zu entscheiden ist, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr nicht von Beginn an aufgrund von Arbeitsunfähigkeit daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten, sondern im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hatte, bevor die Arbeitsunfähigkeit eintrat, wenn der Arbeitgeber nicht die Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hat.

Auf der Grundlage der Vorabentscheidung des EuGH (EuGH vom 22.09.2022 - C-518/20 und C-727/20) entschied das BAG nun, dass es in dieser Konstellation nicht zu einem Verfall des Urlaubsanspruchs komme, sofern der Arbeitgeber die Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat. Dies, weil der Arbeitnehmer bis zum Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit dazu imstande gewesen wäre, den Urlaub zu nehmen. Hierzu hätte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern können und müssen.

Daraus folgt im Ergebnis, dass die Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers grundsätzlich immer einem Verfall des Urlaubsanspruchs (auch nach 15 Monaten nach Ende des Urlaubsjahres bei Langzeitkranken) entgegensteht. Einzige Ausnahme: Urlaubsansprüche, die in einem Urlaubsjahr mit vollständiger Ausfüllung durch Arbeitsunfähigkeit entstanden sind, wenn die Arbeitsunfähigkeit nach diesem Urlaubsjahr noch weitere 15 Monate fortdauert.

Verjährung und Mitwirkungsobliegenheiten

Zu klären war die Frage, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88 der Verjährung von Urlaubsansprüchen entgegensteht, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist. In diesem Fall hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung aus den Jahren 2013 und 2014 gehabt. Im Streit standen insgesamt 101 angesammelte Urlaubstage. 

Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Dies zugrunde gelegt, hätte also die Frist für die Verjährung für den Urlaub 2014 mit dem Ablauf des 31.12.2014 zu laufen begonnen und mit dem Ablauf des 31.12.2017 geendet, sodass der Anspruch bei Klageerhebung am 06.02.2018 insoweit nicht mehr durchsetzbar gewesen wäre. Das Rechtsinstitut der Verjährung dient u.a. dem Rechtsfrieden.

Der EuGH hatte in der Vorabentscheidung (EuGH vom 22.09.2022 – C-120/21) entschieden, dass eine Verjährung von Urlaubsansprüchen jedoch nicht mit der Richtlinie vereinbar sei, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt habe, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Daher entschied das BAG nun, dass der Urlaubsanspruch zwar grundsätzlich dem Rechtsinstitut der Verjährung unterliege. Abweichend von § 199 Abs. 1 BGB beginne jedoch die Verjährungsfrist bei Unterlassen der erforderlichen Mitwirkungsobliegenheiten nicht mit dem Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den Urlaubsanspruch und den drohenden Verfall belehrt habe. 

Im Ergebnis kommen Arbeitgeber an der Erfüllung ihrer Mitwirkungsobliegenheit nicht vorbei. Diese Rechtsprechung gilt uneingeschränkt auch für Altfälle, so dass Arbeitnehmer mit ihren Arbeitgebern auch nach langer Zeit noch „abrechnen“ können. Arbeitgeber sollten daher tunlichst ihre Mitwirkungsobliegenheiten erfüllen, um nun den Verfall etwaig noch nicht verfallener (Alt-)Urlaubsansprüche zu ermöglichen.

Auswirkungen auf die Verjährung und die Anwendbarkeit von Ausschlussfristen für den Urlaubsabgeltungsanspruchs nach § 7 Abs. 4 BUrlG

Aus unserer Sicht jedoch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die Entscheidung des EuGH zur Verjährung (EuGH vom 22.09.2022 – C-120/21) auch Auswirkungen auf die Verjährung und die Anwendbarkeit von Ausschlussfristen für den Urlaubsabgeltungsanspruchs nach § 7 Abs. 4 BUrlG hat. 

Von einer solchen Auswirkung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers schien das BAG selbst bislang nicht auszugehen, da es sich noch zuletzt mit der Entscheidung vom 24.05.2022 – 9 AZR 461/21 in Einklang mit bisheriger Rechtsprechung dafür ausgesprochen hat, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG als reiner Geldanspruch den arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen unterliege und die Entscheidung dazu auch nicht im Hinblick auf die (zum Zeitpunkt der Entscheidung am 24.05.2022) ausstehende Entscheidung des EuGH ausgesetzt hat.

In der Pressemitteilung zur BAG-Entscheidung 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20 findet sich kein Hinweis auf eine etwaige Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung. Dies überrascht auch nicht, da es in dem zu entscheidenden Fall nicht auf die Frage der Verjährung des Urlaubsabgeltungsanspruchs ankam. Aus diesem Grund erwarten wir auch nicht, dass sich die bislang nicht vorliegenden Entscheidungsgründe mit dieser Frage auseinandersetzen. Die Entscheidung des EuGH vom 22.09.2022 – C-120/21 ließe sich allerdings durchaus auch so interpretieren, dass der Urlaubsanspruch und der Urlaubsabgeltungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses als einheitliches Grundrecht aus Art. 31 Abs. 2 GRCh und der Richtlinie zu betrachten seien, das ohne Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen soll.

Hiergegen kann sprechen, dass nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch nicht mehr den Zweck des Gesundheitsschutzes im Vordergrund hat. Allerdings hat die Rechtsprechung des EuGH zur Urlaubsabgeltung für Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers gezeigt, dass der Gesundheitsschutz es aus Sicht des EuGH nicht unbedingt rechtfertigen dürfte, den Arbeitgeber von bestehenden Pflichten zu befreien. Dennoch hat der EuGH – ohne allerdings bisher daraus Konsequenzen zu ziehen – den Abgeltungsanspruch als reinen Geldanspruch anerkannt. In der EuGH-Rechtsprechung ist die Zulässigkeit von Ausschlussfristen anerkannt, solange der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz gewahrt werden. Im Ergebnis wird die Frage nur durch eine weitere Klärung des EuGH abschließend behandelt werden können.

Praktische Bedeutung und Fazit

Die Entwicklung der Rechtsprechung zeigt, dass die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers nicht zu unterschätzen ist. Das BAG hat bereits aufgezeigt, wie diese Obliegenheit erfüllt wird (nicht etwa bloßer Hinweis im Arbeitsvertrag; BAG vom 19.02.2019 - 9 AZR 541/15 sowie Blogbeitrag Urlaub richtig verfallen lassen – das rät das BAG).

Konkret erfüllt der Arbeitgeber seine Obliegenheit, wenn er dem Arbeitnehmer

  • zu Beginn des Kalenderjahres
  • zumindest in Textform mitteilt
  • wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen,
  • ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann und
  • ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt.

Da praktisch alle Arbeitgeber vor der Entscheidung des EuGH mit seiner Erfindung der Mitwirkungsobliegenheit diese Anforderungen nicht erfüllt haben, bleibt der Umgang mit Ausschlussfristen weiter mit Spannung zu erwarten.