Das BAG (Urteil vom 28.08.2024 – 7 AZR 197/23) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob ein vollständig von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestelltes Betriebsratsmitglied Anspruch auch Wechselschichtzulagen hat, obgleich es sich infolge der Freistellung allein während der Tagschicht, die keinen Anspruch auf Schichtzulagen auslösen würde, zur Betriebsratsarbeit bereithält und Betriebsratstätigkeiten entfaltet.
Rechtstellung des Betriebsratsmitglieds bei Freistellungen nach § 38 BetrVG
Unter den Voraussetzungen des § 38 BetrVG können Mitglieder des Betriebsrates ganz oder teilweise anlassunabhängig von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden. Anstelle der arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur Arbeitsleistung tritt sodann die Pflicht, Betriebsratstätigkeit auszuüben bzw. sich für diese bereitzuhalten.
Für die unmittelbar mit der Arbeitsleistung zusammenhängenden Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis unterliegen vollständig freigestellte Mitglieder des Betriebsrates nicht mehr dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Allerdings haben sich auch freigestellte Betriebsratsmitglieder grundsätzlich an die betriebsübliche Arbeitszeit zu halten. Anstelle der Arbeitspflicht tritt lediglich die Verpflichtung, sich während der arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb und am Sitz des Betriebsrats, dem das Betriebsratsmitglied angehört, anwesend zu sein und sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten (BAG vom 10.07.2013 – 7 ABR 22/12).
Lohnausfall- und Ehrenamtsprinzip
Für die Betriebsratstätigkeit als Ehrenamt entsteht kein Vergütungsanspruch. Der Entgeltanspruch des Betriebsratsmitglieds aus dem Arbeitsverhältnis wird während der Betriebsratstätigkeit gem. § 37 Abs. 2 BetrVG aufrechterhalten. Dem Betriebsratsmitglied ist das Arbeitsentgelt weiter zu zahlen, das es verdient hätte, wenn es keine Betriebsratstätigkeit geleistet, sondern gearbeitet hätte. Es gilt das Lohnausfallprinzip nach der hypothetischen Betrachtung, welches Arbeitsentgelt das Betriebsratsmitglied ohne die Arbeitsbefreiung verdient hätte (BAG vom 28.08.2024 – 7 AZR 197/23).
Es ist also eine fiktive Betrachtung vorzunehmen, welche Arbeitszeiten das Betriebsratsmitglied bei Hinwegdenken der Freistellung geleistet hätte, sodass der darauf beruhende Arbeitsentgeltanspruch bemessen wird.
Koppelung der Betriebsratstätigkeit an die Arbeitszeit
Dabei gilt im Grundsatz, dass die Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit durchzuführen ist. Nur wenn aus betriebsbedingten (nicht ausreichend: betriebsratsbedingten) Gründen Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts (§ 37 Abs. 3 BetrVG). Nach dem Lohnausfallprinzip ist für die Bemessung des Entgelts wiederum die infolge der zum Ausgleich erfolgenden Arbeitsbefreiung entfallende Arbeitszeit maßgebend (BAG v. 12.08.2009 – 7 AZR 218/08).
Wenn aus betriebsbedingten Gründen Betriebsratsarbeit nicht während der an sich geltenden Arbeitszeiten eines Schichtsystems möglich wäre und deshalb die Betriebsratsarbeit außerhalb dieser Lage einer betriebsüblichen Arbeitszeit erforderlich ist und erbracht wird, entsteht nach § 37 Abs. 3 BetrVG ein Ausgleichsanspruch. Daraus kann im Ergebnis ein Anspruch auf Zahlung von Schichtzulagen entstehen, obgleich infolge der Arbeitsbefreiung während der zulagenrelevanten Schichten weder Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit wegen der Schichttätigkeit erfolgt. Maßgebend ist, dass der Ausgleichsanspruch sodann in die Zeit der zulagenrelevanten Schichten fällt und das Lohnausfallprinzip auslöst.
Fortbestand von Zulagen bei (eigenmächtiger) Abweichung des Betriebsratsmitglieds von der zulagenrelevanten Arbeitszeit
Problematisch – und im konkreten Fall des BAG relevant – ist eine Abweichung der Lage der Zeit der Betriebsratstätigkeit von der eigentlich maßgebenden Arbeitszeit, wenn weder die für das Betriebsratsmitglied maßgebende Arbeitszeit eine Änderung erfahren hat, noch die Voraussetzungen des § 37 Abs. 3 BetrVG für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit vorliegen.
- Den ersten Fall – eine Veränderung der für das Betriebsratsmitglied maßgebenden Arbeitszeit – hat das BAG bereits in der Vergangenheit behandelt (Urteil v. 18.05.2016 – 7 AZR 401/14). Wenn anlässlich der Betriebsratstätigkeit eine Vereinbarung über den Wechsel beispielsweise aus einer Nachtschicht in die Tagschicht getroffen wird, ist die nach dem Lohnausfallprinzip maßgebende Arbeitszeit aufgrund einer solchen Vereinbarung diejenige der Tagzeit. Ein Anspruch auf Nachtschichtzulagen entsteht bereits aufgrund der arbeitsvertraglichen Veränderung der Arbeitszeitlage nicht mehr, sodass die arbeitsvertragliche Veränderung, aber nicht die Freistellung für Betriebsratsarbeit kausal für den Wegfall der Nachtschichtarbeit wird. Kontrollüberlegung ist, dass das Betriebsratsmitglied sodann auch bei Hinwegdenken bei Betriebsratstätigkeit keinen Anspruch auf eine Zulage erworben hätte. Deshalb ist in dem Entfall einer Zulage bei einer solchen Veränderung der maßgebenden Arbeitszeit auch keine Benachteiligung infolge der Betriebsratstätigkeit zu sehen (BAG vom 18.05.2016 – 7 AZR 401/14).
- Anderes gilt jedoch, wenn für das Lohnausfallprinzip die bislang geltende Arbeitszeit maßgebend bleibt. Dabei hat das BAG (Urteil vom 28.08.2024 – 7 AZR 197/23) dazu klargestellt, dass für das Lohnausfallprinzip die bisherige Arbeitszeitlage auch dann maßgebend bleibt, wenn das Betriebsratsmitglied – eigenmächtig, sei es zu Recht oder zu Unrecht – Betriebsratstätigkeit außerhalb des bisherigen Wechselschichtsystems in Tagschicht erbringt, sodass für das Lohnausfallprinzip weiterhin die ausfallenden Arbeitsstunden der Wechselschicht und damit auch deren Zulagen relevant bleiben.
Das BAG stellt ausdrücklich klar, dass eine Kürzung des Entgelts und der Zulagen auch dann nicht in Betracht komme, wenn das Betriebsratsmitglied die Betriebsratstätigkeit zur falschen Zeit erbracht haben sollte. Es ist allein die Frage zu stellen, ob Vergütungsbestandteile auch dann zu beanspruchen wären, wenn keine Freistellung zur Erbringung von Betriebsratstätigkeit ganz oder teilweise erfolgt wäre. Auf die zeitliche Lage der Betriebsratstätigkeit kommt es dann nicht mehr an.
Darin sieht das BAG auch keine Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern, die Zuschläge für besondere Erschwernisse bei Arbeitszeiten erhalten, denen sie infolge anders zeitlich gelagerte Betriebsratstätigkeit nicht unterliegen. Auch für die Frage des Begünstigungsverbotes stellt das BAG ausschließlich auf die hypothetische Betrachtung eines Hinwegdenkens der Freistellung ab.
Faktische Arbeitszeitsouveränität für die nach § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieder?
Eine andere Frage ist es, ob der Arbeitgeber unabhängig von der Frage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts nach § 37 Abs. 2 BetrVG das Betriebsratsmitglied anweisen kann bzw. eine bisherige Anweisung aufrechterhalten kann, sich während der ohne die Freistellung für Betriebsratstätigkeit maßgebenden Arbeitszeit auch für die Betriebsratstätigkeit während der Dauer der Freistellung im Betrieb anwesend zu halten.
Das BAG hat diese Frage wegen fehlender Relevanz für das Lohnausfallprinzip nicht beantwortet. In der Vergangenheit hatte das LAG Hamm (Urteil v.20.03.2009 – 10 Sa 1407/08) es im Zusammenhang mit arbeitgeberseitigen Disziplinarmaßnahmen wegen Arbeitszeitverstößen für möglich gehalten, dass ein vollständig freigestelltes Betriebsratsmitglied berechtigt ist, nach eigenem Ermessen und unabhängig von den Voraussetzungen des § 37 Abs. 3 BetrVG zur Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit von dem ohne die Freistellung maßgebenden Arbeitszeitsystemen abzuweichen. Es fehle an einem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht einer Arbeitszeit, wenn wegen vollständiger Freistellung keine Arbeitspflicht bestehe. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des LAG Hamm scheint eine Zeitsouveränität für anlassunabhängig freigestellte Betriebsratsmitglieder zu bestehen, Betriebsratstätigkeit außerhalb der ohne die Freistellung maßgebenden Arbeitszeitlage zu erfüllen.
Dafür mag sprechen, dass wegen der Freistellung nach § 38 BetrVG für den Arbeitgeber ohnehin keine Berechtigung bestünde, das Betriebsratsmitglied insoweit zur Arbeitsleistung heranzuziehen. Andererseits setzt § 37 Abs. 3 BetrVG Grenzen für die Erbringung der Betriebsratstätigkeit außerhalb der – vom Arbeitgeber grundsätzlich vorgegebenen – für das Betriebsratsmitglied maßgebenden Arbeitszeit. Dies spricht dafür, die Anwesenheitspflicht für Betriebsratstätigkeit bei anlassunabhängig freigestellten Betriebsratsmitgliedern auf diesen Zeitraum zu konkretisieren. Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung diese Frage in der Zukunft konkretisiert.
Fazit
Dem Arbeitgeber ist es verwehrt, bei ganz oder teilweise anlassunabhängig nach § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitgliedern das Lohnausfallprinzip zu modifizieren, wenn das Betriebsratsmitglied – eigenmächtig – Betriebsratstätigkeit außerhalb der an sich für das Betriebsratsmitglied – ohne die Freistellung – maßgebenden Arbeitszeit erbringt. Für die Vergütung des Betriebsratsmitglieds bleibt die infolge der Freistellung – nicht die während der zeitlich abweichenden Betriebsratstätigkeit – maßgebende Arbeitszeit für die Bemessung der Vergütung maßgebend.