Im Betriebsverfassungsrecht besteht eine klare Grenze für die Zuständigkeit des Betriebsrates. Für den Kreis der leitenden Angestellten im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG ist der Betriebsrat nicht zuständig. Im Falle einer Schwerbehinderung leitender Angestellter hat das BAG (Beschluss v. 09.05.2023 – 1 ABR 14/22) sich im Kontext des Schwerbehindertenrechts aus dem SGB IX dennoch eine Zuständigkeit des Betriebsrates für leitende Angestellte angenommen.
Der Fall
In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Betriebsrat Auskunft über Anzahl und Namen schwerbehinderter Menschen und Gleichgestellter und dies auch aus dem Kreis der leitenden Angestellten geltend gemacht.
Die Entscheidung
Das BAG hat einen Auskunftsanspruch des Betriebsrates aus §§ 176 SGB IX, 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG auch für den Kreis der leitenden Angestellten angenommen. Hierzu stellt das BAG darauf ab, dass sowohl der Wortlaut des § 176 S. 1 SGB IX wie auch der des § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG eine Zuständigkeit des Betriebsrats für schwerbehinderte Menschen begründe. Schwerbehinderte Menschen im Sinne von § 2 SGB IX seien alle schwerbehinderten Menschen sowie die ihnen Gleichgestellten. Deshalb sei – nicht anders als im Rahmen der Zuständigkeit der Schwerbehinderung für leitende schwerbehinderte Menschen – die Zuständigkeit des Betriebsrates nach dem SGB IX entsprechend diesem Wortlaut und der Systematik weit zu verstehen.
Auch im Rahmen der Entstehungsgeschichte des SGB IX sei der – eigentlich für den Kreis der leitenden Angestellten zuständige – Sprecherausschuss nicht in den Kreis der Interessenvertretungen des § 176 SGB IX aufgenommen worden. Daraus folgert das BAG, dass der Gesetzgeber eine umfassende Zuständigkeit des Betriebsrates angenommen habe und es dabei bleiben solle. Schließlich möchte das BAG auf diesem Wege Schutzlücken für den Kreis der schwerbehinderten Menschen und ihnen Gleichgestellten aus dem Kreis der leitenden Angestellten im Zuge der Aufgaben des Betriebsrates vermeiden.
Rechtliche Einordnung
Für das Betriebsverfassungsrecht bleibt es grundsätzlich bei der Zuständigkeit des Betriebsrats für nicht leitende Arbeitnehmer. Das BAG hat sich im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben des Betriebsrates ausdrücklich auf den Wortlaut des § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG als besonderen Auskunftsanspruch beschränkt. Der Betriebsrat ist also nicht etwa künftig – bloß weil ein leitender Angestellter zum Kreis der schwerbehinderten Menschen oder der ihnen Gleichgestellten zählt – auch im Rahmen seiner allgemeinen Aufgaben aus dem BetrVG für solche leitenden Arbeitnehmer zuständig.
Allerdings hat das BAG aus seinem systematischen Erwägungen heraus mit dem Begriff des schwerbehinderten Menschen den gesamten Teil 3 des SGB IX und damit sämtliche arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Schwerbehindertenrechts in seine Argumentation einbezogen. Es stellt sich deshalb für jede Bestimmung dieses Teils 3 aus dem SGB IX die Frage, ob über den vom BAG behandelten Auskunftsanspruch hinaus auch bei anderen Aufgabenzuweisungen an den Betriebsrat im SGB IX leitende Angestellte einbezogen sein können.
Auswirkungen auf weitere Zuständigkeiten für leitende Angestellte, insbesondere im betrieblichen Eingliederungsmanagement
Nach den Ausführungen des BAG spricht vieles dafür, dass das BAG so zu verstehen ist, dass die Zuständigkeit des Betriebsrates in Teil 3 des SGB IX generell auf leitende Schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer zu erstrecken ist. Praktisch bedeutsam ist dies etwa im Rahmen der zwingenden Beteiligung des Betriebsrats im Bewerbungsverfahren bei Bewerbungen scherbehinderter oder gleichgestellter leitender Angestellter, im Zustimmungsverfahren zur Kündigung solcher Personen vor dem Integrationsamt aber auch und insbesondere im Präventionsverfahren sowie im betrieblichen Eingliederungsmanagement.
Insbesondere für das betriebliche Eingliederungsmanagement besteht die Besonderheit, dass dieses – trotz seiner Ansiedelung im SGB IX – für alle Arbeitnehmer und damit auch außerhalb des Kreises der schwerbehinderten Menschen oder Gleichgestellten maßgebend ist. Nach den Ausführungen des BAG im Rahmen der Zuständigkeit des Betriebsrates für alle schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Menschen im Rahmen von Teil 3 des SGB IX dürfte damit eine Zuständigkeit des Betriebsrates auch für – weder schwerbehinderte noch gleichgestellte – leitende Angestellte anzunehmen sein. Auch wenn der Arbeitnehmer die Beteiligung des Betriebsrates im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagement ggf. ablehnen kann, wird der Arbeitgeber jedenfalls im Rahmen eines ordnungsgemäßen Angebots auch bei leitenden Angestellten eine Einbeziehung des Betriebsrates anbieten müssen, damit ein betriebliches Eingliederungsmanagement ordnungsgemäß eingeleitet ist.
Fazit
Unabhängig von der Frage, ob man die Entscheidung des BAG für richtig hält, wird die Praxis mit ihr umgehen müssen. Der vom BAG behandelte Auskunftsanspruch über leitende schwerbehinderte Menschen oder ihnen Gleichgestellte mag dabei in seiner praktischen Bedeutung noch überschaubar sein.
Die mit der Entscheidung verbundenen Folgewirkungen auf weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrates im SGB IX (etwa Einbeziehung in das Bewerbungsverfahren, um Indiztatsachen im Sinne des AGG zu vermeiden, im Rahmen des Präventionsverfahrens oder des betrieblichen Eingliederungsmanagements im Vorwege einer personenbedingten Kündigung) zwingen jedoch vielfach zu einer Neubewertung der bisherigen best practice.
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