Mit dem Wachstumschancengesetz vom 27. März 2024 hat Deutschland im Vorgriff auf eine weitergehende Regelung der EU im Rahmen des VIDA-Projekts (VAT in the digital Age) die E-Invoice (E-Rechnung) eingeführt, die ab 2025 im B2B-Bereich zum Standard werden soll. Mittlerweile hat der BMF mit dem Entwurf eines Anwendungsschreibens auch erste Interpretationshinweise geliefert. In einer losen Folge von esche.blog-Beiträgen zu diesem Thema erläutern Franziska Karsten, Michael Kapitza und Marc Schacht in den nächsten Wochen Einzelheiten, die sich hieraus für Unternehmen ergeben und nehmen zu offenen Fragen Stellung. Den Anfang macht dieser einleitende Beitrag zu den Hintergründen von VIDA, E-Invoice & Co.
VIDA
Bereits seit 2017 arbeitet die Europäische Kommission an einer umfangreichen Umsatzsteuerreform, deren Ziel die Verringerung von Komplexität, Betrugsanfälligkeit und Compliance-Kosten ist. In gewisser Weise ist die EU hier Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden. Seit der Einführung des europäischen Binnenmarkts ist das Volumen des innergemeinschaftlichen Handels explodiert. Das 1992 als vorläufiger Kompromiss eingeführte Umsatzsteuersystem ist komplex und führt dazu, dass die Kosten für die Befolgung umsatzsteuerlicher Vorschriften um 11% über den Kosten für rein inländische Geschäfte liegen.
Seit Dezember 2022 liegt ein Richtlinienvorschlag in Bezug auf die Mehrwertsteuervorschriften für das digitale Zeitalter (VIDA) vor. Nach intensiven Diskussionen wurde die politische Einigung hierüber im Mai/Juni dieses Jahres erst einmal vertagt. VIDA soll voraussichtlich ab 2028 – mittlerweile geht man eher von 2030 aus – umfangreiche Änderungen im geltenden Umsatzsteuersystem führen.
Digitales Meldesystem für einzelne Umsätze
Die EU möchte weg von der mit zeitlichem Abstand nachfolgenden Kontrolle der Mehrwertsteuerbefolgung und hin zu einem System, in dem die Unternehmen mit den Finanzämtern in Echtzeit umsatzbasierte Daten austauschen. Grundlage hierfür wird die elektronische Rechnungstellung sein, die eine sofortige Kontrolle sowohl auf Seiten des Leistenden als auch des Leistungsempfängers ermöglicht. Das bietet das bisherige System mit zusammenfassenden Meldungen (ZM) nicht, in denen die Daten erst mit zeitlichem Abstand und aggregiert übermittelt werden. Konsequenterweise wird es die ZM in dem neuen System nicht mehr geben.
Die EU zielt damit insbesondere auf den innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr ab.
Plattformökonomie – Erweiterung auf Dienstleistungen
Bereits mit dem Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet (2018) wurde die sog. Plattformökonomie ins Visier genommen. Online-Plattformen (eBay, Amazon, etc.) haften nunmehr für die Umsatzsteuer, die die Unternehmer, die über diese Plattformen Handel treiben, wenn diese Unternehmen sich ihren Registrierungs- und Meldepflichten entziehen.
Bislang beschränkte sich dieses Modell auf den Warenverkehr. Die EU meint jedoch, dass insbesondere in Mobilitäts- und Beherbergungssektor Wettbewerbsverzerrungen bestehen, wenn Private oder KMU über diese Plattformen Dienstleistungen anbieten und zum Teil auf Ihre Leistungen keine Umsatzsteuer erheben (müssen).
Nach den Vorstellungen der EU wird in solchen Fällen zukünftig eine Leistungskette fingiert, in die der Plattformbetreiber (z.B. Uber, AirBNB), der bislang nur seine Vermittlungsleistung umsatzbesteuert hat, aufgenommen wird.
SVR – Ausdehnung der einheitlichen Registrierung
Mit dem optionalen OSS (One Stop Shop) für Fernverkäufe und dem IOSS (Import One Stop Shop) für die Einfuhr von Konsumgütern bis EUR 150 ist der Registrierungsaufwand für Unternehmen in bestimmten Branchen seit der Einführung 2021 erheblich gesunken. Die EU spricht daher auch davon, dass OSS und IOSS ein großer Erfolg seien und möchte die Anwendungsbereiche beider Systeme ausbauen, um dem Ziel einer einmaligen und einheitlichen Registrierung in der EU für Umsatzsteuerzwecke (SVR, single VAT registration) erheblich näherzukommen.
Im nächsten Beitrag zeigen wir, was der deutsche Gesetzgeber vor dem Hintergrund von VIDA mit dem Wachstumschancengesetz bereits ab 2025 regelt und welche Herausforderungen die neuen Regeln für Unternehmen mit sich bringen. Stay tuned.