Richtlinienumsetzung/Gesetzgebungsverfahren nahezu beendet – Regelwerk zum Schutz von Whistleblowern tritt in Kraft – Organisatorische Erfordernisse
Mit über einem Jahr Verspätung setzt der Gesetzgeber nunmehr die EU-Richtlinie 2019/1937 vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeberrichtlinie), in deutsches Recht um. Eine Verabschiedung des hiesigen Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) im Bundestag hat bereits stattgefunden. Die noch ausstehende Zustimmung des Bundesrates sowie die formale Verkündung des Gesetzes dürften nicht mehr lange auf sich warten lassen, so dass das neue Recht in Kürze in Kraft tritt. Wesentliches Anliegen der Rechtsetzung ist die Gewährleistung eines wirksamen Schutzes von Personen, die Rechtsverstöße melden, sowie die Gewährleistung einer effektiven Durchsetzung bestehender rechtlicher Regelwerke, die durch die betreffenden Rechtsverstöße konterkariert werden. Mit der Umsetzung der zugrundeliegenden Richtlinie in den Mitgliedstaaten vollzieht sich damit eine weitgehende gemeinschaftsrechtliche Vereinheitlichung der rechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich des sog. Whistleblowing. Bislang waren Hinweisgeber nur eingeschränkt vor Repressalien, Mobbing oder Kündigungen geschützt, und nur wenige Unternehmen waren verpflichtet, entsprechende Meldestellen einzurichten und organisatorische Maßnahmen vorzuhalten.
Anforderungen für Hinweis- und deren Beschäftigungsgeber
Materielle und teilweise recht komplexe Anforderungen hält das neue Recht dabei sowohl für etwaige Hinweisgeber bereit, die bestimmte Voraussetzungen einhalten müssen, um „geschützte Meldungen“ abzugeben bzw. in den Schutzbereich des Gesetzes zu gelangen, als auch für die betreffenden Beschäftigungsgeber und Organisationseinheiten, die für die Einrichtung bestimmter Meldestellen bzw. Vorkehrungen für die Entgegennahme und Bearbeitung eingegangener Hinweise zu sorgen haben.
Weitreichenden Anwendungsbereich beachten
Im Rahmen des sachlichen Anwendungsbereiches des neuen Rechts hat der deutsche Gesetzgeber dabei in Teilen ein sog. Goldplating betrieben: Während nach Maßgabe der EU-Richtlinie vornehmlich Hinweise zu Verstößen gegen Unionsrecht erfasst werden sollten, wird dies im Hinweisgeberschutzgesetz auf eine Reihe weiterer Regelungsbereiche erstreckt – namentlich auf straf- und bestimmte bußgeldbewährte Verstöße, aber auch andere Rechtsgebiete, die nicht zwingend originär europa- bzw. unionsrechtlicher Art sein müssen. Dies erweitert den gesetzlichen Schutzbereich für Hinweisgeber (namentlich Arbeitnehmer, Beamte, Selbständige, Gesellschafter, Mitarbeiter von Lieferanten, Praktikanten, ausgeschiedene Mitarbeiter) nicht unerheblich. Dieser Schutzbereich ist regelmäßig dann eröffnet, wenn Personen in ihrem beruflichen Umfeld (privater und öffentlicher Sektor) Rechtsverstöße wahrnehmen und diese gesetzeskonform mittels einer (wahlweise vorzunehmenden) internen oder externen Meldung offenlegen – wobei ein weitergehendes sog. öffentliches Zugänglichmachen der Meldung (beispielsweise Weitergabe an die Presse) einen Schutz des Hinweisgebers nur unter eingeschränkten Voraussetzungen generiert. Als Adressaten externer Meldungen sind bislang insbesondere das Bundesamt für Justiz (BfJ) sowie die insoweit mit Sonderzuständigkeiten ausgestattete Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und das Bundeskartellamt vorgesehen.
Erfordernis zur Einrichtung von Meldestellen und Meldekanälen
Für private Beschäftigungsgeber mit (zunächst) regelmäßig 250 oder mehr Beschäftigten (ab dem 17.12.2023 wird diese Schwelle auf 50 herabgesetzt) besteht dabei die Pflicht zur Errichtung und Bereitstellung sog. interner Meldestellen, die von Hinweisgebern zur Abgabe ihrer Meldungen genutzt werden können. Diese Meldestellen können direkt beim jeweiligen Beschäftigungsgeber eingerichtet oder auch von externen Dritten (namentlich Rechtsanwälte oder Steuerberater) bereitgestellt werden, die seitens der Beschäftigungsgeber hiermit betraut werden – was Letztere jedoch nicht von der Pflicht entbindet, selbst geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um etwaige Verstöße abzustellen. Gehen auf diesem Wege Meldungen von Hinweisgebern bei einer internen Meldestelle ein, ist diese gehalten, die betreffenden Meldungen (auch anonyme Hinweise) entsprechend zu prüfen, zu bearbeiten bzw. die in Rede stehenden Vorwürfe zu verfolgen und dem Hinweisgeber gewisse Mitteilungen und Rückmeldungen zu erteilen; daneben bestehen Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten. Dabei ist regelmäßig die Identität der Hinweisgeber, der Personen, die Gegenstand einer Meldung sind, sowie sonstiger in der Meldung benannter Personen vertraulich zu behandeln und lediglich unter bestimmten Voraussetzungen – namentlich zum Zwecke rechtlich gebotener Aufklärungs-, Folge- und Ahndungsmaßnahmen – bekannt zu machen. Die gleichen Anforderungen – allerdings ohne die Pflicht zur gesonderten Bereitstellung entsprechender Meldestellen – obliegt Beschäftigungsgebern mit weniger als die genannten 250 bzw. nach der genannten Übergangszeit 50 Beschäftigten im Falle des Eingangs dortiger Meldungen. Für eine Reihe von Unternehmen, die insbesondere im Bereich des Bankwesens und Wertpapierhandels tätig sind, greift von Anbeginn an eine solche Schwellenregelung nicht; hier sind stets entsprechende interne Meldestellen einzurichten und auch bereits implementierte Maßnahmen mit den Anforderungen des neuen Rechts abzugleichen.
Eingerichtete interne Meldestellen haben überdies entsprechende Meldekanäle vorzuhalten, über die Hinweisgeber ihre Informationen offen oder anonym in mündlicher oder in Textform oder mittels Telefon oder einer anderen Art der Sprachübermittlung oder auch im Wege einer persönlichen Zusammenkunft bereitstellen können. Den jeweiligen Meldestellen obliegen dabei verschiedene Pflichten im Umgang mit den Hinweisgebern sowie die Durchführung einer Reihe von Folgemaßnahmen nach Eingang entsprechender Hinweise; hierzu gehören auch etwaige eigene Untersuchungsmaßnahmen und ggf. die Abgabe des Vorgangs an andere Stellen oder Behörden. Auch dabei ist im gesetzlich gebotenen Umfang die bereits genannte Vertraulichkeit zu wahren.
Rechtsfolgen und Sanktionsregime
Hat ein Hinweisgeber einen ordnungsgemäßen Hinweis erteilt bzw. zutreffend auf einen Rechtsverstoß hingewiesen, ist er nach Maßgabe des Gesetzes von einer Verantwortlichkeit für die Erlangung der betreffenden Information entbunden und vor etwaigen Repressalien geschützt; im Falle dennoch ausgeübter Repressalien steht dem betroffenen Hinweisgeber ein Schadensersatzanspruch gegen den Verursacher der Repressalien zu. Andererseits macht sich ein Hinweisgeber ggf. selber schadensersatzpflichtig, wenn eine vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Meldung oder die Offenlegung unrichtiger Informationen seitens des Hinweisgebers zu einem solchen Schaden führen. Besonderheiten können sich in diesem Zusammenhang ergeben, wenn die in Rede stehende Information Geschäftsgeheimnisse oder besondere vertragliche Verschwiegenheitspflichten betrifft.
Praxistipp
Das Thema ist komplex, und die organisatorischen Anforderungen, die das neue Gesetz für Beschäftigungsgeber insbesondere im Zusammenhang mit der Bereitstellung interner Meldestellen mit sich bringt, sind immens. Insoweit sollten auch Beschäftigungsgeber mit einer Anzahl Beschäftigter zwischen 50 und 250 trotz der einjährigen Übergangsfrist schon frühzeitig mit den notwendigen Implementierungsmaßnahmen beginnen. Und auch Beschäftigungsgeber, die unterhalb der genannten Schwellen liegen und formal keine entsprechenden internen Meldestellen und Meldekanäle einzurichten bräuchten, sind dennoch gehalten, den Umgang mit eingehenden Verdachtshinweisen ihrer Mitarbeiter in einer nach Maßgabe des Gesetzes hinreichend rechtssicheren und nachvollziehbaren Art und Weise auszugestalten. Zielführend dürfte es daher in vielen Fällen sein, externes Know How in die Implementierungs- und Umsetzungsprozesse einzubeziehen und von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, interne Meldestellen und Meldekanäle bei hierfür spezialisierten externen Dienstleistern einzurichten. Auch der internen Mitarbeiterschulung kommt insoweit eine erhebliche Bedeutung zu.
Zu bedenken ist zudem, dass die Anforderungen und Rechtsfolgen des Hinweisgeberschutzgesetzes nicht isoliert zu betrachten und daneben eine Reihe weiterer materieller Regelungen ins Kalkül zu ziehen sind, die sich namentlich aus dem Arbeits- und (insbesondere im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten) dem Datenschutzrecht ergeben. Auch eine Einbeziehung ausländischer Unternehmensteile und Betriebsstätten ist im Rahmen der Umsetzung der neuen gesetzlichen Anforderungen zu berücksichtigen.
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