Das Risiko des Arbeitgebers, nach einem verlorenen Kündigungsschutzprozess Annahmeverzugslohn zahlen zu müssen, beeinflusst die Vergleichsverhandlungen über Abfindungen maßgeblich. Einzelne Gerichtsentscheidung aus der jüngeren Zeit haben die Position von Arbeitgebern zuletzt gestärkt. Ein neues Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 06.04.2023, Az. 8 SA 51/22 befasst sich näher mit der Darlegungs- und Beweislast zum Einwand des böswilligen Unterlassens einer anderweitigen Erwerbsmöglichkeit.

Annahmeverzugslohn (§ 615 S. 1 BGB) und böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs 
Steht am Ende des Kündigungsschutzprozesses fest, dass die Kündigung des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, können Arbeitnehmer vom Arbeitgeber regelmäßig die Zahlung von Annahmeverzugslohn nach beanspruchen (vgl. § 615 S. 1 BGB). Je nach Länge des Kündigungsschutzprozesses kann es sich hierbei um mehrere Jahresgehälter handeln. Allerdings müssen sich Arbeitnehmer bestimmte Leistungen auf den Annahmeverzugslohn anrechnen lassen (vgl. § 615 S. 2 BGB, § 11 KSchG). Hierzu zählt u.a., was der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugszeitraum durch anderweitige Arbeit verdient hat (§ 11 Nr. 1 KSchG) oder was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen (§ 11 Nr. 2 KSchG). 

Um Letzteres wird teilweise erbittert gestritten, insbesondere wenn im Einzelfall der Eindruck besteht, der Arbeitnehmer hätte sich in seiner Arbeitslosigkeit gemütlich gemacht und spekuliert auf den erwartungsgemäß hohen Annahmeverzugslohn. Befördert wird dieser Streit auch durch die neuerer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach  Arbeitgeber vom Arbeitnehmer Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge verlangen können (vgl. BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 387/19). 

Arbeitgeber muss mindestens eine konkrete Erwerbsmöglichkeit beweisen 
Die dargestellte Problematik lag auch der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamburg zugrunde. In der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht Hamburg konnte der Arbeitgeber den Anspruch auf Annahmeverzugslohn noch mit dem Einwand des böswilligen Unterlassens einer anderweitigen Erwerbsmöglichkeit abwehren. Demgegenüber ging das Landesarbeitsgericht Hamburg davon aus, dass unter den gegebenen Umständen ein böswilliges Unterlassen nicht festzustellen war. Ein böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes komme nur in Betracht, wenn es mindestens eine konkrete Erwerbsmöglichkeit gab, die dem Arbeitnehmer in dem Zeitraum bekannt war, für den er Verzugslohn verlangt. 

Nicht ausreichend sei dafür vonseiten des Arbeitgebers 

  • der Verweis auf einen für den Arbeitnehmer günstigen Arbeitsmarkt, weil dies keine feststellungsfähige Tatsache darstelle
  • Die bloße Behauptung des Arbeitgebers, bei bestimmten Arbeitgebern seien für den Arbeitnehmer geeignete Stellen zu besetzen gewesen.

Erforderlich sei vielmehr, dass der Arbeitgeber eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit vorträgt. Dies sei dem Arbeitgeber deshalb zumutbar, weil er dem Arbeitnehmer eine zumutbare Prozessbeschäftigung im eigenen Unternehmen anbieten oder vortragen kann, er habe den Arbeitnehmer auf konkrete Stellenangebote in anderen Unternehmen hingewiesen.

Verhältnis zur jüngeren Rechtsprechung des BAG 
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamburg überrascht nicht, vielmehr steht sie auf einer Linie mit (jüngeren) Tendenzen in der Rechtsprechung zur Beweis- und Darlegungslast im Rahmen von § 615 S. 2 BGB, § 11 Nr. 2 KSchG und § 138 Abs. 2 ZPO. 

Von dem Grundsatz, der Arbeitgeber trage für die ein böswilliges Unterlassen betreffenden Tatsachen die Darlegungs- und Beweislast, geht das Bundesarbeitsgericht weiterhin aus. Es hat nur die Anforderungen in Abkehr zu seiner früheren Rechtsprechung (BAG v. 16.05.2000 – 9 AZR 203/99) gelockert und die Beweisführungsmöglichkeiten des Arbeitgebers gestärkt. Dies insbesondere dadurch, dass dem Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer ein Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge zusteht, dessen Grundlage aus arbeitsrechtlichen Nebenpflichten folgt (BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 387/19).  Das Landesarbeitsgericht Hamburg erkennt dabei die Möglichkeit des Arbeitgebers an, über eigene Mitteilungen zu Stellenangeboten gegenüber dem gekündigten Arbeitnehmer die Darlegungslast in gewissem Umfang zu verlagern, da dieser sodann nachweisen muss, dass er sich mit Angeboten oder Stellenausschreibungen auseinandergesetzt hat. Zu der Kenntnis des Arbeitnehmers von zumindest einer einzigen anderen konkreten Erwerbsmöglichkeit hatte der Arbeitgeber in dem Verfahren des LAG Hamburg aber nicht hinreichend vorgetragen und Beweis angeboten.

Fazit und Praxishinweise
Die vorgestellte Entscheidung konkretisiert die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu §§ 615 S. 2 BGB, 11 Nr. 2 KSchG und zeichnet zugleich Praxisempfehlungen vor. Aus Arbeitgebersicht verdeutlicht sie, dass das Berufen auf §§ 615 S. 2 BGB, 11 Nr. 2 KSchG zwar ein wirksames Mittel darstellt, um Annahmeverzugslohnansprüche von Arbeitnehmern möglichst niedrig zu halten. Geprägt ist dieses Mittel jedoch von Darlegungs- und Beweislastschwierigkeiten. Denn immerhin steht der Arbeitgeber vor dem erheblichen Problem, dass er keinen Einblick auf arbeitnehmerseitige Bemühungen um einen „anderweitigen Erwerb“ hat, zugleich aber eine konkrete Erwerbsmöglichkeit vortragen muss. Es ist Arbeitgebern daher zu empfehlen, dem gekündigten Arbeitnehmer nachweisbar und regelmäßig für ihn passende Stellenangebote zukommen zu lassen und so die spätere Beweisführung zu „steuern“. 

Dem gekündigten Arbeitnehmer obliegt es sodann, nachzuweisen, dass er sich mit den Angeboten zumindest beschäftigt hat. Teilt der Arbeitgeber entsprechende Stellenangebote mit, muss der Arbeitnehmer sich dazu erklären, wie er auf diese Mitteilungen reagiert hat. Führt man sich in diesem Zusammenhang die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 30.9.2022, Az. 6 Sa 280/22 vor Augen, erhöht die Masse an zugesandten Stellenangeboten offenbar immens die Erfolgsaussichten des Arbeitgebers. In dem Fall hielt das LAG Berlin-Brandenburg dem gekündigten Arbeitnehmer böswilliges Unterlassen vor, denn er habe sich nur auf drei von 23 Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit beworben und eigeninitiativ zwar 103 weitere Bewerbungen verschickt, allerdings in einem Zeitraum von rund 29 Monaten was im Ergebnis nicht einmal zwei Bewerbungen pro Woche ausmachte. In den genannten Verfahren handelte es sich aber stets um Einzelfallenentscheidungen, wie es die jeweiligen Gerichte in den Urteilen immer betont haben. Sie eigenen sich nicht für allgemeine Aussagen, wie viele Bewerbungen ein gekündigter Arbeitnehmer versenden müssen, um eine anderweitige Erwerbsmöglichkeit nicht böswillig zu unterlassen.     

Unter Mitarbeit von Niklas Koglin

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