Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Beschluss vom 11.10.2022 (1 ABR 18/21) festgestellt, dass es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, die Mitbestimmungswidrigkeit einer unter Verstoß gegen § 99 Abs. 1 BetrVG durchgeführten Versetzung dadurch zu heilen, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat nach Durchführung der Versetzung unter deren formeller Wiederholung nach § 99 Abs. 1 BetrVG beteiligt, ohne die mitbestimmungswidrige Versetzung zwischenzeitlich tatsächlich beendet zu haben.
Der Fall
Zugrunde lag der Sachverhalt einer Versetzung eines Arbeitnehmers ohne Beteiligung des Betriebsrates nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Nachdem der Betriebsrat den Arbeitgeber auf Aufhebung der personellen Maßnahme (§ 101 BetrVG) rechtskräftig in Anspruch genommen hatte, teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit, dass er die Versetzung „zurückzunehme“ und beteiligte den Betriebsrat am selben Tage zu einer beabsichtigten erneuten Versetzung dieses Arbeitnehmers auf denselben Arbeitsplatz. Der betroffene Arbeitnehmer wurde seit Beginn der erstmaligen – mitbestimmungswidrigen – Versetzung ununterbrochen tatsächlich auf dem neuen Arbeitsplatz eingesetzt.
Unterrichtung des Betriebsrates vor einer geplanten personellen Maßnahme nach § 99 Abs. 1 BetrVG
Gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen, Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben sowie dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu erteilen, dies mit dem Ziel, die Zustimmung des Betriebsrates zu der geplanten Maßnahme einzuholen.
Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 11.10.2022 betont, dass die Beteiligung des Betriebsrates nur „vor“ einer „geplanten“ Maßnahme möglich ist. Erfolgt eine personelle Maßnahme ohne die vorgesehene Beteiligung des Betriebsrates, müsse der Arbeitgeber von einer bereits durchgeführten personellen Maßnahme Abstand nehmen, indem er die Maßnahme tatsächlich aufhebt, wenn eine unterbliebene Beteiligung des Betriebsrates nunmehr durchgeführt werden soll. Anderenfalls sei das Beteiligungsverfahren des Betriebsrates nach § 99 (erneut) nicht ordnungsgemäß eingeleitet.
Kontext zur bisherigen Rechtsprechung
Für eine Einstellung hatte das BAG (Beschluss vom 21.11.2018 – 7 ABR 16/17) bereits in eine solche Richtung entschieden. In dem damaligen Fall hatte der Arbeitgeber allerdings ausdrücklich eine rückwirkende Beteiligung des Betriebsrates bezogen auf die ursprüngliche personelle Maßnahme durchführen wollen.
Das BAG hat in seiner aktuellen Entscheidung hervorgehoben, dass es – dies war relevant in dem Entscheidungsfall aus 2018 – einerseits nicht genügt, den Betriebsrat nachträglich um Zustimmung zu einer bereits endgültig vorgenommenen Einstellung oder Versetzung zu ersuchen. Es genüge – das ist Gegenstand der neuerlichen Entscheidung - andererseits ebenfalls nicht, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat lediglich mitteilt, er nehme die Versetzung „zurück“, ohne die personelle Maßnahme tatsächlich aufzuheben.
Anforderungen an eine erneute personelle Maßnahme
Das BAG hat klargestellt, dass es einer Abstandnahme von der ursprünglichen Maßnahme und einer erneuten – eigenständigen – Einstellung oder Versetzung bedürfe. Dies setzt nach BAG in tatsächlicher Hinsicht mehr als eine bloße Mitteilung voraus. Entscheidend sei, dass die Umsetzung der personellen Maßnahme auf dem mitbestimmungswidrig zugewiesenen Arbeitsplatz zumindest vorübergehend bis zur Einleitung eines erneuten Beteiligungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG unterbleibe.
Das BAG hat (zumindest für den Fall des Wegfalls des bisherigen Arbeitsplatzes) anerkannt, dass es keiner Beschäftigung auf dem vorherigen Arbeitsplatz bedarf. Vielmehr genüge es für eine Abstandnahme, wenn die Beschäftigung auf dem neuen Arbeitsplatz unterbleibe.
Für welche Zeitspanne eine solche Zäsur erfolgen muss, bleibt offen. Ob hier bereits etwa eine Arbeitsstunde genügen würde, erscheint zweifelhaft. Es dürfte umgekehrt aber zu weit gehen, in Anlehnung an § 95 Abs. 3 BetrVG etwa eine Monatsdauer zu verlangen, zumal die Monatsdauer nur bei einem der möglichen Anknüpfungspunkte des Versetzungsbegriffs aus § 95 Abs. 3 BetrVG relevant ist. Eine Abstandnahme für einen Tag bis wenige Tage dürfte genügen.
Fazit
Arbeitgeber haben mit der Entscheidung eine neue Formalie „gewonnen“, die aus dem Gesetz herleitbar sein mag, aber materiell aus Sicht keines Beteiligten zu etwas führt. Richtigerweise ist diese Herleitung aus dem Gesetz aber ein Fehlgriff des BAG – bei Kündigungen kann die Beteiligung nach § 102 BetrVG ebenfalls für vorsorgliche Folgekündigungen erfolgen, ohne dass der Arbeitnehmer für eine vorsorgliche Folgekündigung wieder eingestellt und beschäftigt werden muss. Es ist kein Grund ersichtlich, dass dies bei Einstellungen oder Versetzungen anders zu bewerten ist.
Arbeitgeber werden aufgrund dieser Rechtsprechung nun bei Fehlern im Verfahren nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu Einstellungen oder Versetzungen vor der erneuten Einleitung eines Beteiligungsverfahrens eine Abstandnahme konstruieren (müssen).
Weiterführende Links:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/wp-content/uploads/2023/01/1-ABR-18-21.pdf
https://www.bundesarbeitsgericht.de/wp-content/uploads/2021/01/7-ABR-16-17.pdf