Die Möglichkeit des Erwerbs von Aktien durch Altaktionäre bei Bezugsrechtsemissionen in einem das eigentliche Bezugsrecht übersteigenden Umfang (sog. Überbezug) wird für Emissionen in einem Volumen von bis zu 8 Mio. Euro erleichtert. Ein Wertpapierprospekt ist hier nicht mehr erforderlich.
Rechtslage und bisherige Verwaltungspraxis der BaFin
„Magna Charta“ im Bereich des Prospektrechts ist die unmittelbar geltende europäische Prospektverordnung aus dem Jahre 2017 sowie deren hiesige materielle Ergänzung nach Maßgabe des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG). Werden danach Wertpapiere (insbesondere Aktien) entweder öffentlich angeboten oder zum Handel an einem geregelten Markt (Börsenhandel) zugelassen, ist grundsätzlich ein Prospekt zu erstellen, und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist zuständige Überwachungsbehörde. Die genannte Prospektpflicht entfällt bei öffentlichen Angeboten u.a. dann, wenn das Emissionsvolumen nicht mehr als 8 Mio. Euro ausmacht, die Wertpapiere unter Berücksichtigung bestimmter Einzelanlageschwellen durch ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen angeboten werden und das die Wertpapiere ausgebende Unternehmen (Emittent) ein sog. Wertpapier-Informationsblatt (WIB) veröffentlicht. Das WIB ist deutlich „schlanker“ gehalten als ein typischer Wertpapierverkaufsprospekt (maximal drei Seiten in deutscher Sprache mit wesentlichen Informationen und entsprechendem Warnhinweis). Auch die Veröffentlichung eines WIB ist von der BaFin nach Durchführung eines Antragsverfahrens und erfolgter Prüfung vor Durchführung der Emission zu gestatten. Die Antragstellung des Emittenten (hier auch Einreicher oder Hinterleger genannt) sowie die Kommunikation im weiteren Verfahren verläuft dabei über eine elektronische Melde- und Veröffentlichungsplattform der BaFin (MVP-Portal).
Im Rahmen von Bezugsrechtsemissionen werden den Altaktionären regelmäßig Aktien anhand bestimmter Bezugsrechte zum Kauf angeboten, die vom Umfang her den jeweiligen verhältnismäßigen Beteiligungen am Unternehmen entsprechen. Hier gelten für Emissionen im Volumen bis 8 Mio. Euro weitergehende Erleichterungen; erforderlich ist lediglich die Veröffentlichung eines WIB, nicht jedoch zusätzlich eine Offerierung der Stücke durch ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen. – Vielfach kommt es bei solchen Bezugsrechtsemissionen vor, dass Altaktionäre ihre Bezugsrechte nicht ausüben und von dem betreffenden Erwerbsangebot keinen Gebrauch machen. In diesem Falle können die „übrig gebliebenen“ Bezugsrechte regelmäßg von den übrigen Altaktionären erworben werden, die dann einen größeren Anteil an der Emission erwerben als ihnen rein rechnerisch bzw. beteiligungsmäßig zustünde – man spricht hier von einem „Überbezug“. Gegen eine solche Praxis ist insbesondere deshalb nichts zu sagen, da dies einerseits zu einer größeren Ausnutzung des Emissionsvolumens führt und es andererseits um Bezugsrechte geht, die von anderen Altaktionären bewusst nicht in Anspruch genommen und damit in gewisser Weise „frei“ gegeben worden sind. Zudem ist ein solcher Überbezug gerade im hiesigen Mittelstand regelmäßig wesentlicher Bestandteil vieler Bezugsrechtsemissionen.
Die Verwaltungspraxis der BaFin ging in solchen Fällen des Angebots bzw. der Inanspruchnahme eines Überbezugs bislang davon aus, dass die genannte Ausnahme für Bezugsrechtsemissionen nach Maßgabe des WpPG nicht bestünde. Vielmehr müsse hier ein umfangreicher Wertpapierprospekt – und nicht lediglich ein „schlankes“ WIB – veröffentlicht oder die Durchführung des Angebots bzw. des Vertriebs der Stücke unter Hinzuziehung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens betrieben werden. Für die betreffenden Emittenten war dies regelmäßig mit einem deutlich höheren Verwaltungsaufwand für die Prospekterstellung und erhöhten Kosten verbunden. In der Sache hat die BaFin damit bislang unterschiedliche Maßstäbe an die rechtliche Erfassung von Bezugsrechtsemissionen einerseits und eines Überbezugs andererseits angelegt und ist in diesen Fällen von unterschiedlichen Rechtsfolgen – Erfordernis WIB einerseits und Wertpapierprospekt andererseits – ausgegangen. Diese Verwaltungspraxis wurde in der Vergangenheit kontrovers diskutiert und war wohl auch nicht von einer hinreichend klaren Gesetzeslage „gedeckt“.
Geänderte Verwaltungspraxis der BaFin
Nunmehr hat die BaFin bekannt gemacht, dass die oben skizzierte Ausnahmeregelung für das Angebot von Wertpapieren an Aktionäre entsprechend ihrer Beteiligungsquoten im Rahmen einer Bezugsrechtsemission auch für die Durchführung eines Überbezugs im Rahmen der Bezugsrechtsemission gilt. Emittenten brauchen in diesem Fall mithin lediglich ein von der BaFin genehmigtes WIB zu veröffentlichen. Der Erstellung und Veröffentlichung eines umfangreichen Wertpapierprospekts bedarf es in diesem Fall mithin nicht (mehr). Voraussetzung ist lediglich, dass das im WIB dargestellte Angebot sich ausschließlich an die Altaktionäre und nicht an Dritte richtet. Die Änderung der Verwaltungspraxis der BaFin liegt auch insoweit „im Trend“, als der sich abzeichnende Listing Act der Europäischen Kommission ebenfalls regulatorische Hemmnisse abbauen und weitere Erleichterungen des Prospektregimes ermöglichen soll.
Praxistipp
Die genannte und nunmehr von der BaFin praktizierte Befreiung von einer Prospekterstellung in den genannten Fällen (Emissionsvolumen bis zu 8 Mio. Euro und Angebot eines Überbezugs an Altaktionäre im Rahmen einer Bezugsrechtemission) erscheint zweckmäßig und mit den gesetzlichen Reglungen im Einklang. Die hiermit insbesondere für mittelständische Unternehmen verbundenen Erleichterungen dürften sich positiv auf die Vornahme und Durchführung entsprechender Kapitalmaßnahmen auswirken und das Umfeld am Finanzplatz und Kapitalmarkt nachhaltig verbessern. Ob die betreffenden Unternehmen bei Durchführung entsprechender Maßnahmen daneben auch auf die Hinzuziehung und Unterstützung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens im Rahmen des Vertriebs der zu emittierenden Stücke verzichten, ist ein durchaus „komplexeres“ Thema und sollte – auch wenn nach Maßgabe der geänderten Verwaltungspraxis der BaFin nunmehr rechtlich möglich – hingegen sehr genau abgewogen werden.