Die Europäische Kommission verfolgt im Rahmen eines sog. Aktionsplans seit längerem das Ziel einer Europäischen Kapitalmarktunion. Neben einem europaweit geltenden einheitlichen Rechtsrahmen („level playing field“) sollen Unternehmen dabei u.a. einen verbesserten Zugang zu den Kapitalmärkten erhalten, und der Regulierungsaufwand sowie die Kosten für eine Börsennotierung sollen reduziert werden. Diesen Zielen will die Kommission mit dem Regelwerk des Listing Acts näherkommen.

Gang der Rechtsetzung

Nach mehrjähriger Vorarbeit ist nunmehr ein „Listing Act Package“ (sog. Börsennotierungsgesetz) durch den Rat der Europäischen Union am 8. Oktober 2024 verabschiedet und am 14. November 2024 im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden. Mittlerweile – am zwanzigsten Tage nach Veröffentlichung – sind die Regelungen auch in Kraft getreten. Es handelt sich hierbei um zwei Richtlinien (EU) 2024/2810 und (EU) 2024/2811 und eine Verordnung (EU) 2024/2809, jeweils vom 23. Oktober 2024. Während die genannte Verordnung unmittelbar geltendes – aber erst ab dem 5. März bzw. 5. Juni 2026 verbindlich anwendbares – Recht darstellt, sind die beiden Richtlinien bis zum 5. Juni bzw. 5. Dezember 2026 in mitgliedstaatliches Recht umzusetzen und dann anschließend materiell anwendbar.

Regelwerke im Einzelnen

Die Richtlinie (EU) 2024/2810 normiert insbesondere einheitliche Strukturen für die Verwendung von Mehrstimmrechtsaktien in Gesellschaften, die eine Zulassung ihrer Anteile zum Handel an einem sog. KMU-Wachstumsmarkt oder einem anderen multilateralen Handelssystem (MTF) beantragen. Dieser europaweiten Harmonisierung im Bereich der Verwendung von Mehrstimmrechtsaktien ist der hiesige Gesetzgeber mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) aus dem Jahre 2023 in gewisser Weise „zuvorgekommen“ und hat – u.a. neben der Möglichkeit der Verwendung von Börsenmantelaktiengesellschaften – bereits entsprechende Regelungen für hiesige Börsengänge auf den Weg gebracht.

Die Richtlinie (EU) 2024/2811 soll insbesondere mittels verschiedener Änderungen/Ergänzungen der Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) die Attraktivität der öffentlichen Kapitalmärkte steigern und kleineren und mittleren Unternehmen den Kapitalzugang erleichtern. Zentrales Anliegen dabei ist die Normierung von Rahmenbedingungen für einen sog. KMU-Wachstumsmarkt in Form eines entsprechenden MTFs oder eines MTF-Segments im Rahmen von Artikel 33 und (neu) Artikel 51a MiFID II. Daneben finden sich in der Richtlinie auch noch Maßnahmen, um den Markt für Finanzanalysen ("Research") zu beleben und sicherzustellen, dass Wertpapierfirmen (wieder) mehr Flexibilität bei der Entscheidung darüber erhalten, auf welche Art und Weise sie Zahlungen für Ausführungsdienstleistungen und Analysen organisieren.

Die Verordnung (EU) 2024/2809 betrifft zum einen Änderungen der Finanzmarktverordnung (MiFIR) und der Prospektverordnung, die in Ergänzung der o.g. Richtlinien ebenfalls die Attraktivität öffentlicher Kapitalmärkte und verbesserte Rahmenbedingungen des Kapitalzugangs für kleine und mittlere Unternehmen beabsichtigen – neue prospektrechtliche Vehikel sind hier beispielsweise ein „EU-Folge-“ und ein „EU-Wachstumsprospekt“ mit erleichterten materiellen Anforderungen. Zum anderen sieht die neue Verordnung auch Änderungen im Bereich Marktsondierungen, bei Aktien-Rückkaufprogrammen sowie im Umgang mit Insiderinformationen und insbesondere zum Ad-hoc-Publizitätsrecht der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) vor – wobei Letzteres vor allem die aufsichtsrechtliche Behandlung zeitlich gestreckter Sachverhalte und die hiermit verbundenen Emittentenpflichten betrifft. In diesem Zusammenhang hat die Kommission den Arbeitsauftrag erhalten, eine Delegierte Verordnung zur MAR zu erlassen, die eine Liste von „Endereignissen in zeitlich gestreckten Vorgängen“ enthält und für jedes dieser Endereignisse den Zeitpunkt, zu dem das Endereignis als eingetreten gilt. Hier ist weiterhin zu beachten, dass wesentliche kapitalmarktrechtliche Anforderungen der MAR auch für MTF- bzw. Freiverkehrsemittenten gelten, die eine entsprechende Einbeziehung in ein solches Segment selbst betrieben bzw. ausdrücklich gebilligt haben.

Der Erlass weitergehender Vorschriften nachrangiger bzw. begleitender Regelwerke zu den genannten Richtlinien und der Verordnung bleibt einstweilen abzuwarten. Entsprechende erste „Technical Advices“ und „Regulatory Technical Standards“ der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA sind in hier Vorbereitung.

Ausblick und Praxistipp

Vor dem Hintergrund, dass das Rechtsregime des Listing Acts materiell-rechtlich erst im Jahre 2026 umfänglich zur Anwendung kommt, empfiehlt es sich dennoch, die neuen Regelungen frühzeitig zu kennen und auf eine entsprechende Anwendbarkeit nach deren Erlass zu prüfen bzw. sich auf eine solche vorzubereiten. Dies gilt insbesondere für börsennotierte Gesellschaften, die das Regelwerk der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) als solches bereits jetzt anwenden müssen – sei es wegen der Zulassung von Wertpapieren in den geregelten Markt, sei es wegen deren qualifizierten Einbeziehung in den börslichen Freiverkehr bzw. ein Multilaterales Handelssystem (MTF) – und als Emittenten von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überwacht werden.
 

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