Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung v. 12.7.2022 (BGBl 2022 I S. 1142) kommt der Gesetzgeber der Umsetzungsverpflichtung des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungskonformen Neuregelung des Zinssatzes bei Zinsen i.S.d. § 233a AO nach. Dieses hatte mit Beschluss v. 8.7.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) die Höhe des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO i.V.m. § 233a AO für Zeiträume ab 2014 für verfassungswidrig erklärt. (s. a. ESCHE blog vom 18.8.2021)
Für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 hat das Bundesverfassungsgericht eine Weitergeltungsanordnung erlassen, so dass die bisher geltende Vorschrift weiter anwendbar ist. Für diesen Zeitraum werden die Nachzahlungs- und Erstattungszinsen von Amts wegen endgültig festgesetzt. Für den Zeitraum ab dem 1.1.2019 wurde hingegen entschieden, dass die Zinsen betragsmäßig neu festgesetzt werden müssen. (s. a. ESCHE blog vom 24.9.2021)
Die bisher ausgesetzte Zinsfestsetzung wird durch die Änderungen des § 238 AO aufgehoben. Für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO wird rückwirkend für den Zeitraum ab dem 1.1.2019 der Zinssatz auf 0,15 % pro Monat (1,8 % pro Jahr) statt wie bisher 0,5 % pro Monat (6 % pro Jahr) herabgesetzt. Anwendbar ist diese neue Regelung auf alle Steuern, die der Vollverzinsung unterliegen.
Es ist darauf hinzuweisen, dass bei der Umsetzung der neuen Regelung zum Zinssatz die Vertrauensschutzregelung nach § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO anwendbar ist. Die Zinsen nach der Neuberechnung dürfen die bislang festgesetzten Zinsen danach nicht überschreiten. Für eine Nachholung einer ausgesetzten Zinsfestsetzung gilt die Regelung nicht. Für solche Fälle ist der neue Zinssatz zu verwenden.
Die Zinsberechnung erfolgt wie bisher mit der Festsetzung auf volle Monate. Für Fälle in denen bei der Berechnung mehrere Zinssätze maßgeblich sind, wurde der § 238 Abs. 1b AO eingeführt. Demnach wird in diesen Fällen der Zinslauf in Teilverzinsungszeiträume aufgeteilt und die Zinsen werden tageweise berechnet. Dabei werden für jeden vollen Monat 30 Tage und jedes volle Jahr 360 Tage genutzt.
Um zukünftig eine regelmäßige Prüfung des Zinssatzes zu ermöglichen, wurde mit dem § 238 Abs. 1c AO nun eine ausdrückliche Evaluierungsklausel eingeführt. Danach ist erstmalig am 1.1.2024 und anschließend wenigstens alle zwei Jahre die Angemessenheit des Zinssatzes zu überprüfen.
Zu beachten ist jedoch, dass sich diese Änderungen ausdrücklich nur auf Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO beziehen. Somit sind Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen von den o. g. Gesetzesänderungen ausgenommen.
Praxishinweis
Aufgrund der Komplexität und des Zusammenspiels verschiedener Programme wird eine sofortige Umsetzung der Neuregelung seitens der Landesfinanzverwaltungen und Kommunen nicht möglich sein. In dem dritten Abschnitt des EGAO werden in Art. 97 Übergangsvorschriften aufgeführt. Der § 15 Abs. 16 EGAO erlaubt für einen Übergangszeitraum weiterhin die Festsetzung von Zinsen auszusetzen oder vorläufig vorzunehmen. Sobald die technischen und organisatorischen Voraussetzungen es ermöglichen, wird die Zinsfestsetzung nach § 233a AO nachgeholt und rückwirkend angepasst.
Weitere Detailregelungen können dem anliegenden BMF Schreiben vom 22.7.2022 entnommen werden.