Die Europäische Union hat eine neue Richtlinie (Richtlinie EU 2024/2831) zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei platform work (deutsch: Plattformarbeit) erlassen, die zum 1. Dezember 2024 in Kraft getreten ist. Zentrale Regelung ist die (widerlegbare) Vermutung, dass Auftragnehmer der Plattformen unter gewissen Voraussetzungen Arbeitnehmer sind. Neben bekannten Plattformen der Liefer- und Taxibranche, wie Lieferando, Wolt oder Uber, trifft diese Richtlinie auch Unternehmen, die kleinere, spezialisierte Arbeitsvermittlungsplattformen betreiben.

Was ist platform work?

Bei platform work handelt es sich um eine Arbeitsform, bei welcher eine Einzelperson immer wieder einzelne Aufträge über eine digitale Plattform für in der Regel verschiedene Auftraggeber gegen Bezahlung erfüllt. Platform work überschneidet sich mit den Schlagwörtern crowd work oder gig economy. Während der COVID-19-Pandemie hat die Plattformökonomie einen Boom insbesondere durch den stark gestiegenen Bedarf an Essens- und Konsumgüterlieferungen erfahren. Daneben werden aber vor allem auch Dienstleistungen über digitale Plattformen vermittelt, z.B. die Erledigung von Programmier-Arbeiten durch den Einsatz freier IT-Arbeitskräfte oder die Vermittlung einzelner Haushalts- und Handwerksleistungen. Aufgabe des Plattformbetreibers (Crowdsourcer) ist es, unsteten, individuellen Kundenbedarf mit freien Arbeitskräften (Crowdworker) rasch, günstig und zielgenau (in der Regel durch Nutzung einer App) zusammenzubringen. 

Soziale Herausforderungen

Arbeits- und sozialversicherungsrechtlich steht im Focus, ob es sich bei Crowdworker, sofern kein Arbeitsverhältnis begründet wurde, um Auftragnehmer auf Basis eines Dienst- oder Werkvertrages handelt oder um Scheinselbstständige. Ebenso stellen sich Problem der regelmäßigen Überschreitung der Tageshöchstarbeitszeit, wenn bei Crowdworkern, die über mehrere Plattformen tätig werden, die Gesamtarbeitszeit nicht kontrolliert wird. Es ergeben sich insbesondere im Niedriglohnsektor erhebliche soziale Schutzlücken. Mit der neuen platform work Richtlinie ist die EU diese europaweit bestehenden Herausforderungen angegangen. 

In Deutschland bestehen bisher keine gesetzlichen Regelungen zu platform work. In der kontroversen Crowdworker-Entscheidung des BAG vom 1. Dezember 2020 (9 AZR 102/20) hat es den Beschäftigten einer Plattform in den bestehenden Arbeitnehmerbegriff eingeordnet. Im konkreten Fall hatte die Plattform ein System, welches Crowdworker belohnte, wenn diese mehr und regelmäßig Aufträge erfüllen. Dies führte dazu, dass das BAG eine für den klassischen Arbeitnehmer typische Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmtheit annahm und damit von einem Arbeitsverhältnis zwischen Plattformbetreiber und Crowdworker ausging. 

Plattformbetreiber, die das Entstehen von Arbeitsverhältnissen vermeiden wollen, müssen demnach verstärkt darauf achten, den Eindruck zu vermeiden, der Crowdworker würde die Aufträge fremdbestimmt verrichten. Dies läuft aber typischen Anreizsystem, die die Qualität der Leistungen steigern und die Bindung guter Crowd Worker an die Plattform stärken sollen, zuwider. Im Ergebnis bestehen weiterhin erhebliche Unsicherheiten bei der Einordnung des arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Status von vielen Crowdworkern.

Inhalte der neuen EU-Richtlinie

Die Richtlinie EU 2024/2831 richtet sich an Plattformen, die auf digitale Art und Weise Arbeitsaufträge für den Auftraggeber an Einzelpersonen gegen Bezahlung unter Einsatz automatisierter Entscheidungsfindungssysteme vermitteln (Art. 2 Abs. 1 lit. a)). Die Richtlinie gilt für alle digitalen Plattformen, die in der EU geleistete Plattformarbeit organisieren, unabhängig vom Ort ihrer Niederlassung. Damit sind grundsätzlich auch US-Unternehmen, die Crowdworker innerhalb der EU einsetzen, an die Vorgaben der Richtlinie – mittelbar in der nationalen Umsetzung innerhalb der EU – gebunden. 

  • Kern der Richtlinie ist die widerlegbare Vermutung, dass ein Crowdworker ein Arbeitnehmer ist (Art. 5), wenn die Arbeiten mit gewisser Steuerung und Kontrolle der Plattform ausgeführt werden. Wie diese Kriterien im Einzelfall von der nationalen Rechtsprechung unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung gewertet werden, bleibt abzuwarten. Der Vorschlag eines zunächst in der Richtlinie vorgesehene Kriterienkatalog fand jedenfalls keine Mehrheit. Die Darlegungs- und Beweislast, dass kein Arbeitsverhältnis vorliegt, weist die Richtline der Plattform zu. Aufgrund der bekannten Herausforderungen, einen Negativbeweis zu führen, ist es offensichtlich Ziel der Richtlinie, Crowdworker grundsätzlich den Arbeitnehmerstatus zuzuweisen. Sozialversicherungs- und arbeitsrechtliche Folgen der Einstufung als Arbeitnehmer sind in Deutschland u.a. Kündigungsschutz nach dem KSchG, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und betriebliche Mitbestimmung für die Arbeitnehmer bei Bestehen eines Betriebsrats und insbesondere, die Verpflichtung der Plattform, für den Crowdworker Sozialversicherungsabgaben und Lohnsteuern abzuführen.
  • Weiterer wesentlicher Regelungsgegenstand ist die Regulierung der automatischen Entscheidungsfindung und der Datenerhebung durch Plattformen (Art. 7 bis 11). So ist etwa verboten, verschiedene Gesundheitsdaten von Crowdworkern zu sammeln und damit Entscheidungen über die Auftragsvergabe oder Sanktionierung der Beschäftigten zu treffen. Werden automatisierte Entscheidungssysteme angewandt, so sollen diese so transparent gestaltet und für die Beschäftigten erkennbar sein, ob und wofür diese Systeme angewendet werden (Art. 9). Weiter steht den Beschäftigten nach automatisierten Entscheidungen das Recht zu, die Gründe für diese Entscheidung zu erfahren und Zugang zu einem menschlichen Supervisor zu erhalten.
  • Außerdem sollen die Plattformen gemäß der Art. 16, 17 an staatliche Stellen die Arbeit, die über ihre Plattform geleistet wurde, den Arbeitnehmerstatus der Beschäftigten und die Vertrags- und Arbeitsbedingungen, u.a. auch die geleistete Arbeitszeit, melden. Welche Stelle für die Erfassung der Arbeitsdaten in Deutschland zuständig sein soll, muss noch festgelegt werden. 

Ausblick

Die Mitgliedsstaaten haben nunmehr bis zum 2. Dezember 2026 Zeit, die Vorgaben der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Art. 6 der Richtlinie erlegt den Mitgliedsstaaten einen Aufgabenkatalog „unterstützender Maßnahmen“ auf, so z.B. den Erlass von Leitlinien für digitale Plattform, Crowdworker, Sozialpartner und Behörden, sowie wirksame Kontrollen. Hiermit wird sich eine neu gewählte Bundesregierung in der nächsten Legislaturperiode beschäftigen müssen.
Fest steht bereits, dass der Betrieb von Arbeitsvermittlungsplattformen durch die Einschränkungen in der Datenverarbeitung und Offenlegungspflichten komplizierter werden dürfte und die Meldung von Arbeitsdaten an staatliche Stellen einen deutlich höheren bürokratischen Aufwand erfordert. Aufgrund der gesetzlichen Vermutung dürften jedenfalls deutlich mehr Crowdworker den Status als Arbeitnehmer erhalten.

Weiterführende Links:
Richtlinie EU 2024/2831 zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit
Crowdworker-Entscheidung, BAG vom 01.12i.2020 – 9 AZR 102/20
 

 

Dazu passende Artikel