Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen muss in einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren die Frage klären, ob Beschäftigtendaten, die womöglich rechtswidrig erhoben worden waren, durch das Gericht verwertet werden dürfen. Diese Thematik, zu der sich vor ca. einem Jahr auch schon das Bundesarbeitsgericht (BAG) geäußert hatte (siehe unseren Blog-Beitrag vom 01.09.2023 „Datenschutz ist kein Täterschutz - jedenfalls nicht immer“), wurde jetzt vom LAG Niedersachsen mit einer Vielzahl von Vorlagefragen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) „an die ganz große Glocke gehängt“ (LAG Niedersachsen, 08.05.2024, Az. 8 Sa 688/23).

Die Fragestellung und Hintergrund
Gerichte verarbeiten personenbezogene Daten. Sie sind auch als öffentlich-rechtliche Stellen an die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) und nationale Datenschutzbestimmungen gebunden. Auf den Umfang der personenbezogenen Daten, die ein Arbeitsgericht erhält, hat es – abgesehen von Fällen der Amtsermittlung und Hinweis- und Auflagenbeschlüssen – grundsätzlich keinen Einfluss. Es kommt somit immer wieder dazu, dass Parteien personenbezogene Daten vortragen, die sie rechtswidrig erhoben und verarbeitet haben. Deshalb stellt sich die Frage, ob ein (Arbeits-)Gericht diese Daten ggf. verarbeiten und der Entscheidung zugrunde legen darf.

Der Ausgangsfall und die Vorlagefragen
Ausgangsfall für die Vorlagefragen des LAG Niedersachsen ist ein Rechtsstreit, in dem ein Arbeitgeber gegen eine Arbeitnehmerin Schadenersatzforderungen geltend macht. Dazu trug der Arbeitgeber vor, dass die Arbeitnehmerin in 195 Fällen Gegenstände, die im Eigentum des Arbeitgebers standen, bei eBay verkauft habe, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Die Angaben dazu hatte der Arbeitgeber durch einen „EDV-gestützten Zugriff“ auf das private eBay-Konto der Arbeitnehmerin erhalten. Es ist offen, wie der Arbeitgeber Kenntnis von dem Passwort, dass für den Zugriff erforderlich war, erhalten hatte. 

Das LAG Niedersachen meint, dass der Arbeitgeber möglicherweise Angaben zu den Verkäufen vorgetragen habe, die er unrechtmäßig erhoben habe. Deshalb sei rechtlich unklar, ob das Gericht diese Angaben, einschließlich der darin enthaltenen personenbezogenen Daten, rechtmäßig verarbeiten dürfe. 

Das LAG legt sich bzgl. der Rechtsmäßigkeit der Datenverarbeitung im konkreten Fall noch nicht fest, sondern begründet die Erforderlichkeit der Vorlagefragen mit der Möglichkeit einer rechtswidrigen Datenerhebung. Es sei nach dem LAG noch nicht hinreichend geklärt, ob die Vorschriften des bundesdeutschen Prozessrechts hinreichend bestimmt seien, um den Anforderungen der DS-GVO zu genügen. Damit spricht das LAG die Frage an, ob der bundesdeutsche Gesetzgeber konkrete Regelungen zu Sachvortrags- und Beweisverwertungsverboten schaffen müsse, damit ein deutsches Gericht ggf. auch dann personenbezogenen Daten rechtmäßig verarbeiten kann, wenn diese datenschutzrechtswidrig durch eine Partei erhoben worden waren.

Unter anderem um dies zu klären, hat das LAG Niedersachsen den Rechtsstreit ausgesetzt und im Rahmen eines Vorabentscheidungserfahrens zahlreiche abstrakte Fragen an den EuGH gestellt, um die Vereinbarkeit der Datenverarbeitung mit europäischem Recht zu klären.

Stark verkürzt dargestellt geht es vor allem um die Fragen, 

  • ob die Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung durch Gerichte (namentlich Art. 92 Grundgesetz, §§ 138, 286, 355 ff. ZPO im Rahmen i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Buchst. e, Abs. 3 DS-GVO) dem Bestimmtheitsgebot genügen, dass sich aus Art. 5 DS-GVO sowie aus Art. 8 und 52 EU-Grundrechtecharta ergibt, 
  • ob Art. 17 Abs. 3 Buchst. e DS-GVO neben Art. 6 und 9 DS-GVO als Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung durch das Gericht herangezogen werden könne,
  • ob Gerichte gehalten sind, insoweit eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen, 
    welche Auswirkungen auf die Datenverarbeitung durch die Justiz der Grundsatz hat, dass personenbezogene Daten nur so lange verarbeitet werden dürfen, wie dies der (ursprüngliche) Zweck der Verarbeitung erfordert, 
  • ob aus dem EU-Recht folgt, dass nationale Gerichte Beweismittel, die unter Verletzung von Persönlichkeitsrechten beschafft wurden, nur dann verwerten kann, wenn ein anerkanntes Interesse der beweisbelasteten Partei vorliegt, das über das schlichte Beweisinteresse hinausgeht, 
    welcher Maßstab für die Verhältnismäßigkeitsprüfung gilt, 
  • ob es eine Rolle für die Beurteilung der Fragen spielt, ob Datenerhebende bei der Erhebung der Daten ihren Informationspflichten nach Art. 13 DS-GVO nachgekommen sind und 
  • ob die DS-GVO und die EU-Grundrechtecharta auch bei der Verarbeitung personenbezogener Daten Dritter durch ein Gericht zu beachten ist.    

Auswirkungen auf die Praxis
Nachdem man zuletzt aufgrund der Entscheidung des BAG vom 29.03.2023 verlässlichere Leitlinien erhalten hatte, kann man nun erneut gespannt sein, ob die Antworten des EuGH diese Richtung bestätigen oder neue Erkenntnisse bringen. Das BAG hatte betont, dass auch dann kein Verwertungsverbot oder gar ein Sachvortragsverbot bestehe, wenn die Daten nicht (vollständig) im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts erhoben wurden. Auch rechtswidrig erhobene Daten seien nach Art. 17 Abs. 3 Buchst. e DS-GVO nicht zu löschen, wenn die Datenverarbeitung für die Geltendmachung, Ausübung und Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich sei. Die Verarbeitung der Daten, scheitere nach dem BAG in diesen Fällen auch nicht an einer Zweckänderung. Zwar habe nach dem BAG in Bezug auf die Verwertung eine Interessenabwägung durch das jeweilige Gericht zu erfolgen, diese gehe jedoch auch bei einer Datenschutzverletzung bei der Erhebung der Daten nicht automatisch zugunsten der betroffenen Person aus. Jedenfalls bei der Verarbeitung von Daten zu einer vorsätzlich begangenen Pflichtverletzung bestehe regelmäßig weder ein Beweisverwertungsverbot noch ein Sachvortragsverbot. 

Das BAG hatte mit dieser Entscheidung ein früheres Urteil des LAG Niedersachsen aufgehoben, dass von einem Verwertungsverbot ausgegangen war. 

Genau der Senat des LAG Niedersachsen, dessen früheres Urteil vom BAG mit der vorgenannten Entscheidung aufgehoben worden war, gibt sich nun anlässlich eines neuen Falls nicht mit der Entscheidung des BAG zufrieden oder sieht die Rechtslage jedenfalls nicht als ausreichend geklärt an. Das LAG Niedersachsen nimmt deshalb den oben geschilderten Fall zum Anlass, die vom BAG ausdrücklich betonte Möglichkeit der Verwertung selbst datenschutzrechtswidrig erhobener Daten durch den EuGH überprüfen zu lassen (obschon das BAG die Vereinbarkeit mit Europarecht ausdrücklich betont hatte). 

Neben der Frage der Bestimmtheit des deutschen Prozessrechts, zweifelt das LAG Niedersachsen u.a. auch daran, dass Art. 17 Abs. 3 Buchst. e DS-GVO als „Rechtsgrundlage“ für die Verarbeitung durch ein Gericht tauge, weil diese Norm nur eine Löschpflicht ausschließe.

Die Antworten des EuGH werden somit grundlegende Bedeutung für die Beurteilung von Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbote durch deutsche (Arbeits-)Gerichte haben. 

Praxistipp
Vor diesem Hintergrund kann Arbeitgebern und anderen Verantwortlichen im Sinne der DS-GVO nur geraten werden, gerade dann, wenn Ansprüche geltend gemacht werden sollen oder man sich gegen Ansprüche verteidigen will, besonders sorgfältig Datenschutzvorschriften bei der Ermittlung von Sachverhalten einzuhalten. Anderenfalls besteht das Risiko, dass Gerichte allein aus formalen Gründen gegen Arbeitgeber oder andere Verantwortliche entscheiden. 

Außerdem sollte stets sorgfältig geprüft werden, ob bei der Datenerhebung Informationspflichten zu erfüllen sind, denn auch insoweit kann sich fehlende Datenschutz-Compliance auf Verwertungsmöglichkeiten auswirken (siehe dazu auch unseren Blogbeitrag vom 27.08.2024 „Am Ende kommt alles raus“: Auskunft über verdeckten Detektiveinsatz“). 
 

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