Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 23. Februar 2023 (Az.: 2 U 116/22) den Erlass einer auf ein Arzneimittelpatent gestützten einstweiligen Verfügung abgelehnt und dabei die Voraussetzungen für einstweilige Verfügungsverfahren in Patentsachen weiter geklärt.
Sachverhalt und Entscheidung erster Instanz
Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin eines Europäischen Patents, welches ein Arzneimittel zur Behandlung Multipler Sklerose schützt. Das Verfügungspatent ist aus einer Teilanmeldung hervorgegangen. Das zugrundeliegende Stammpatent wurde rechtskräftig widerrufen. Die Patentansprüche des widerrufenden Stammpatents haben einen mit den für den Rechtstreit relevanten Patentansprüche des Verfügungspatents nahezu identischen Wortlaut. Die Verfügungsklägerin wendet sich mit ihrem Verfügungsantrag gegen den Vertrieb eines Arzneimittels durch die Verfügungsbeklagte, ein Generikaunternehmen.
Das Landgericht Düsseldorf lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab. Denn die Begründungen der Einspruchsabteilung und der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes zum Widerruf des Stammpatents divergierten voneinander: Die Einspruchsabteilung habe das Stammpatent aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen, während die Technische Beschwerdekammer lediglich auf eine unzulässige Erweiterung abstellte. Die Entscheidungen der Einspruchsabteilung und der Technische Beschwerdekammer stünden in einem unauflöslichen Widerspruch zueinander. Das Landgericht könne sich damit keine hinreichende Überzeugung vom Rechtsbestand des Verfügungspatents bilden, was Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung sei, auch wenn es hier um einen Generikafall gehe, bei dem an und für sich geringere Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit des Rechtsbestandes des Verfügungspatents zu stellen seien.
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf
Die dagegen beim OLG Düsseldorf eingelegte Berufung blieb erfolglos: Nach ständiger Rechtsprechung des Senats komme der Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Patentsachen nur in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungsschutzrechtes im Ergebnis so eindeutig zu Gunsten des Verfügungsklägers zu beantworten seien, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten sei. Angesichts der relativ hohen Widerrufs- und Vernichtungsquote erteilter Patente, wonach nur etwa 30% aller angegriffenen Patente sich als im erteilten Umfang rechtsbeständig erwiesen, könne davon regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden habe.
Davon könne in Sonderfällen abgewichen werden. Ein solcher Sonderfall liege grundsätzlich bei Verletzungshandlungen von Generikaunternehmen vor. Denn während der von ihnen angerichtete Schaden im Falle einer späteren Aufrechterhaltung des Patents vielfach enorm sei und mit Rücksicht auf den durch eine entsprechende Festsetzung von Festbeträgen verursachten Preisverfall nicht wieder gutgemacht werden könne, habe eine unberechtigte Verfügung lediglich zur Folge, dass das Generikaunternehmen vorübergehend zu Unrecht vom Markt ferngehalten werde, was durch Schadenersatzansprüche gegen den Patentinhaber ausgeglichen werden könne. Zu berücksichtigen sei auch, dass Generikaunternehmen für ihre Marktpräsens im Allgemeinen keine eigenen wirtschaftlichen Risiken eingingen, weil das Präparat dank des Patentinhabers medizinisch hinreichend erprobt und am Markt etabliert sei. Deshalb könne in Generikafällen eine Verbotsverfügung auch dann ergehen, wenn für das Verletzungsgericht mangels einer fachkundigen Rechtsbestandsentscheidung keine endgültige Sicherheit über den Rechtsbestand gewonnen werden könne.
Hier läge zwar in Bezug auf das Verfügungspatent keine streitige Rechtsbestandsentscheidung vor. Es könnten jedoch die Entscheidungen der Einspruchsabteilung und der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes zu dem zugrundeliegenden Stammpatent herangezogen werden, da die relevanten Patentansprüche inhaltlich nahezu identisch seien. Anhand dieser Entscheidungen erscheine aus Sicht des Senats das Verfügungspatent nicht mit hinreichender Sicherheit rechtsbeständig. Denn gemäß den Feststellungen der Einspruchsabteilung habe eine zum Stand der Technik gehörende Dosisfindungsstudie neben zwei unwirksamen Wirkstoffdosen (nämlich 120 mg/Tag und 360 mg/Tag) eine therapeutisch wirksame Dosis (720 mg/Tag) offenbart, die mit vergleichsweise geringen Nebenwirkungen verbunden sei. Die patentierte Wirkstoffdosis von 480 mg/Tag sei in der damaligen Dosisfindungsstudie „übersprungen“ worden. Für den Fachmann habe es nahegelegen, im Rahmen weiterer Studien zu ermitteln, wo die Wirksamkeitsgrenze läge und insbesondere ob auch eine geringe Wirkstoffdosis noch die erwünschte therapeutische Wirkung erzielen würde. Aus Sicht des Senats könne daher nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von der Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents ausgegangen werden, auch wenn es sich hier um den bekannten Sonderfall des Verbotes eines Generikums handele.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung zeigt erneut auf, dass die erfolgreiche Beantragung von einstweiligen Verfügungen im Patentrecht möglich ist, dies aber einer guten Vorbereitung durch den Verfügungskläger bedarf. Grundsätzlich geht das OLG Düsseldorf im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass einstweilige Verfügungen in Patentsachen die Ausnahme bleiben müssen und zur Vermeidung wirtschaftlicher Schäden auf Seiten des Verfügungsbeklagten ein hohes Maß an Sicherheit in Bezug auf das Vorliegen einer Patentverletzung und den Rechtsbestand des Verfügungspatentes erfordern. Hinsichtlich Letzterem macht die Rechtsprechung in Generikafällen eine Ausnahme – insbesondere wenn das Verfügungspatent in absehbarer Zeit ausläuft, so dass Rechtschutz in einem ordentlichen Klageverfahren nicht erlangt werden kann. Aber: es gilt keine Ausnahme ohne Ausnahme. Wenn – wie hier – aufgrund einer negativen Rechtsbestandsentscheidung in Bezug auf das Stammpatent der Rechtsbestand des daraus hervorgegangenen Verfügungspatents fraglich erscheint, kann die Verfügung nicht erlassen werden. Sieht man sich einer solchen Entscheidungslage als Verfügungskläger gegenüber, müssen in dem Verfügungsantrag die gegen den Rechtsbestand sprechenden Entscheidungen der Fachinstanzen (Einspruchsabteilung, Technische Beschwerdekammer, Nichtigkeitssenat des Bundespatentgerichts etc.) sorgfältig aufbereitet und diesen argumentativ überzeugend begegnet werden. Das ist aufwendig und schwierig, aber nicht unmöglich (s. OLG Düsseldorf InstGE 9, 140 – Olanzapin).