In einer jüngeren Entscheidung hat das BAG (Urteil vom 03.07.2024 – 10 AZR 171/23) die Pflichten des Arbeitgebers bei vergütungsrelevanten Zielvereinbarungen konkretisiert. Die Entscheidung zeigt, dass nicht nur bei der Vertragsgestaltung Sorgfalt geboten ist, sondern auch das Verfahren für das Zustandekommen einer Zielvereinbarung beim Arbeitgeber unter Beachtung bestimmter Vorgaben festgelegt sein sollte, um Schadensersatzrisiken zu vermeiden.
 
Zugrundeliegender Fall 
Im Streit stand eine Forderung auf eine variable Vergütung, deren Bemessung anhand von Zielen arbeitsvertraglich vereinbart war. Die jeweils maßgebenden Ziele sollten Gegenstand einer Zielvereinbarung sein oder – sollten keine Ziele vereinbart werden – vom Arbeitgeber nach billigem Ermessen einseitig bestimmt werden können.
 
Eine Zielvereinbarung für das Jahr 2020 kam nach wechselseitigen Vorschlägen nicht zustande, die Arbeitgeberin gab sodann einseitig Ziele vor. Die gesamte Kommunikation begann im Juni 2020 und endete mit der einseitigen Zielvorgabe vom 26.08.2020. Der Arbeitnehmer war in weiten Teilen des im Jahr 2020 verbleibenden Zeitraums des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt, freigestellt oder urlaubsabwesend, bis das Arbeitsverhältnis aufgrund Eigenkündigung des Arbeitnehmers zum 31.12.2020 endete.
 
Die variable Vergütung zahlte die Arbeitgeberin für 2020 nicht. 

Unangemessene Benachteiligung einseitiger Zielvorgabe anstelle einvernehmlicher Zielvereinbarung 
Die vertragliche Vereinbarung, wonach die Arbeitgeberin anstelle einer Zielvereinbarung berechtigt sein sollte, Ziele einseitig vorzugeben, ist nach Auffassung des BAG unwirksam.

Als Formulararbeitsbedingung ist eine sogenannte AGB-Kontrolle eröffnet. Damit findet eine Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB auf eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers statt. Das BAG hält fest, dass im Ausgangspunkt die Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts im Sinne des § 315 BGB für vergütungsrelevante Ziele keine unangemessene Benachteiligung auslöst. So ist die Zielvorgabe nach § 315 BGB gerichtlich voll überprüfbar. Eine unangemessene Benachteiligung sieht das BAG jedoch darin, dass die Regelung es der Arbeitgeberin ermöglicht, die vertraglich vereinbarte Rangfolge von Zielvereinbarung und Zielvorgabe zu unterlaufen.
 
Da für die Vereinbarung von Zielen ein weiter Rahmen unterschiedlichster Ziele und deren Gewichtung mit entsprechenden Gestaltungsspielräumen besteht, ist nach der vertraglichen Regelung vorrangig hierüber ein Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien herzustellen. Eine ersatzweise einseitige Leistungsbestimmung kann demgegenüber den Gestaltungsspielraum bei der Festlegung von Zielen zu Lasten des Arbeitnehmers erweitern, weil die im Wege der Zielvereinbarung vorrangig vorgesehene Möglichkeit der Einflussnahme auf die Festlegung der Ziele zur Wahrung der eigenen Interessen des Arbeitnehmers genommen werden kann. Der Arbeitgeber könnte Verhandlungen über eine Zielvereinbarung grundlos verweigern oder abbrechen, um sodann in die einseitige Leistungsbestimmung der Ziele einzutreten.

Dabei sieht das BAG bereits aufgrund der eingeräumten Möglichkeit der einseitigen Leistungsbestimmung unter Abbruch des einvernehmlichen Zielvereinbarungsprozesses eine unangemessen benachteiligende Verhandlungssituation, da der Arbeitnehmer ggf. seine Vorstellungen über zu vereinbarende Ziele nur eingeschränkt in die Verhandlungsführung einfließen lassen würde, wenn er mit dem jederzeitigen Abbruch des Zielvereinbarungsprozesses rechnen müsse.

Schadenersatz als Rechtsfolge einer fehlenden Zielvereinbarung
Das BAG setzt sodann seine ständige Rechtsprechung (grundlegend BAG vom 10.12.2008 – 10 AZR 889/07) fort, wonach bei einer zielvereinbarungsabhängigen Vergütung das Fehlen der Zielvereinbarung für einen Bezugszeitraum bewirkt, dass die variable Vergütung als Erfüllungsanspruch nicht zur Entstehung gelangt. Dem Arbeitnehmer steht stattdessen unter den Voraussetzungen der §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB Anspruch auf Schadenersatz wegen entgangener variabler Vergütung zu.
 
Schadensrechtlich relevante Pflichtverletzung
Der Schadenersatzanspruch gegen den Arbeitgeber wegen entgangener variabler Vergütung setzt voraus, dass eine arbeitgeberseitige Pflichtverletzung im fehlenden Abschluss einer Zielvereinbarung festzustellen ist. 
Hierzu finden sich in der Entscheidung des BAG für den Arbeitgeber deutlich erschwerende Maßstäbe für die diesbezüglich relevanten Pflichten. 

  • Im Ausgangspunkt stellt sich zunächst die Frage, welche Partei die Initiative für den Zielvereinbarungsprozess aufzunehmen hat. Wegen der arbeitgeberseitigen Steuerung des Betriebes sowie der Arbeitnehmer im Wege des Direktionsrechtes liegt die Initiativlast für den Zielvereinbarungsprozess regelmäßig beim Arbeitgeber.

Praxistipp: Dies kann beispielsweise im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung über eine variable Vergütung anhand einer Zielvereinbarung abweichend dem Arbeitnehmer zugewiesen werden. 

  • Der Arbeitgeber ist verpflichtet, mit dem Arbeitnehmer in Verhandlungen über eine Zielvereinbarung einzutreten und ihm realistischerweise zu erreichende Ziele für den jeweiligen Bezugszeitraum anzubieten. Dies sind nach Auffassung des BAG Ziele, die der Arbeitnehmer auf Grundlage einer zum Zeitpunkt des Angebotes zu erstellenden Prognose erreichen können muss.

Praxistipp: Es ist empfehlenswert, im Rahmen der vertraglichen Regelung über die variable Vergütung anhand einer Zielvereinbarung bereits beispielhafte Ziele und Zielgrößen festzuhalten, um die diesbezüglichen Maßstäbe zu konkretisieren. Auch wenn Ziele realistisch erreichbar sein müssen, dürfen sie dennoch ehrgeizig sein.

  • Der Arbeitgeber muss die Verhandlungen ergebnisoffen einleiten. Er muss – so das BAG – bei der Initiative für eine Zielvereinbarung deren Kerninhalt ernsthaft zur Disposition stellen und dem Arbeitnehmer Gestaltungsfreiheit einräumen. Der Arbeitgeber muss sich hierfür deutlich und ernsthaft zu Änderungen seines Vorschlages einer Zielvereinbarung bereit erklären

Praxistipp: 

  • Bei der Übersendung eines Vorschlages für eine Zielvereinbarung muss der Arbeitgeber klarstellen, dass es sich um einen Vorschlag handelt, der Gegenstand von ergebnisoffenen Verhandlungen werden soll und nach Maßgabe solcher Verhandlungen eine Änderung der Ziele, deren Gewichtung etc. eröffnet bleibt. 
  • Der Arbeitgeber kann eine Standardformulierung als begleitenden Text des ersten Vorschlags für eine Zielvereinbarung hinterlegen, um diese Maßgabe für jedes Jahr des Zielvereinbarungsprozesses sicherzustellen. 

 

Verschulden, Darlegungs- und Beweislast
Das Verschulden des Arbeitgebers wird bei Vorliegen einer Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. Daraus leitet das BAG her, dass der Arbeitgeber insgesamt die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass er die Initiative für den Zielvereinbarungsprozess – ergebnisoffen – ordnungsgemäß erfüllt hat. 

Der Arbeitnehmer braucht zunächst lediglich vortragen, dass eine Zielvereinbarung mangels ordnungsgemäßen Zielvereinbarungsprozesses nicht zustande gekommen ist. Der Arbeitgeber hat sodann vorzutragen, dass er sich zu Verhandlungen über eine Zielvereinbarung bereit erklärt, einen Vorschlag unterbreitet, diesen ernsthaft zur Disposition gestellt und das Scheitern der Verhandlung über eine Zielvereinbarung nicht zu vertreten hat.
 
Praxistipp: Wegen dieser Verteilung der Darlegungs- und Beweislast sollte der Zielvereinbarungsprozess stets nachweisbar, etwa in Textform anhand E-Mail Korrespondenz, dokumentiert werden. 

Rechtsfolge: Schadenersatz 
Bei der Rechtsfolge eines Schadenersatzanspruchs ist der Schaden zu ersetzen, der durch das Fehlen einer Zielvereinbarung entsteht. Dabei bestehen für den Arbeitnehmer weitere Darlegungs- und Beweiserleichterungen, weil für einen entgangenen Gewinn nach § 252 S. 2 BGB der Gewinn maßgebend ist, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. 

Der Arbeitnehmer muss deshalb nur Tatsachen vortragen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder besonderen Umständen eine Wahrscheinlichkeit eines Gewinns ergibt. Hinzu tritt prozessual der Grundsatz der freien Schadensschätzung durch das Gericht nach § 287 ZPO. 

Das BAG folgert hieraus, dass bei der Ermittlung des Schadens die Motivations- und Anreizfunktion von Zielvereinbarungen zu beachten ist, wonach Ziele grundsätzlich realistisch erreicht werden können müssen. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge (§ 252 S. 2 BGB) hätte der Arbeitnehmer demgemäß Ziele, wären sie vereinbart worden, erreicht. Abwesenheiten wegen Urlaubs, Freistellung oder Krankheit seien keine gegenläufigen Gesichtspunkte. Urlaubsabwesenheiten sind wegen bestehender Urlaubsansprüche nach Auffassung des BAG bereits regelmäßig im Zielvereinbarungsprozess zu berücksichtigen. Im Zeitraum einer Freistellung besteht Annahmeverzug des Arbeitgebers, sodass ein Vergütungsanspruch fortbesteht und demgemäß auch keine Reduzierung eines Schadenersatzanspruchs wegen entgangener Vergütung in Betracht komme. Krankheitsbedingte Fehlzeiten setzen eine Kürzungsvereinbarung nach § 4 a EFZG voraus und sind anderenfalls regelmäßig ebenfalls nicht relevant. 

Im Ergebnis läuft der Schadenersatzanspruch bei fehlender Zielvereinbarung deshalb regelmäßig auf eine Bezifferung im Umfang von 100 % der variablen Vergütung hinaus, wenn der Arbeitgeber keine konkreten Tatsachen vortragen kann, die als Maßgabe fiktiv zugrunde zu legender Ziele eine geringere fiktive Zielerreichung begründen würden. 

Fazit
Auch wenn die Entwicklung der Rechtsprechung kritisch zu betrachten sein mag, wird die Praxis sie vollziehen müssen. Es bleibt uneingeschränkt empfehlenswert, bei vertraglichen Zielvereinbarungssystemen bereits in der vertraglichen Rahmenregelung klare Vorgaben für den Zielvereinbarungsprozess, die Richtung der maßgebenden Ziele und mögliche Kenngrößen einschließlich Stufenverhältnissen (etwa Entfall der variablen Vergütung trotz Erreichung persönlicher Ziele, wenn Geschäftsziele nicht erreicht werden o.ä.) zu treffen, um einer rechtlichen Überprüfung klare Vorgaben zu setzen. 

Die Entscheidung des BAG zeigt, dass darüber hinaus der jährliche Zielvereinbarungsprozess mit erheblicher Sorgfalt durchzuführen ist. Es empfiehlt sich, als Arbeitgeber eine Verfahrensregelung aufzustellen, nach der regelmäßig zu Beginn eines jeden Bezugszeitraums der Prozess über das Zustandekommen einer Zielvereinbarung ordnungsgemäß abgeschlossen sein und zuvor eine ordnungsgemäße Initiative sicher gestellt sollte. 

Neu ist in der Rechtsprechung des BAG dabei insbesondere, dass der Arbeitgeber bei der Unterbreitung eines Vorschlages für eine Zielvereinbarung ausdrücklich seine Bereitschaft erklären muss, von dem Vorschlag über die Zielvereinbarung abzuweichen. Hierauf ist – über die Maßgaben bei der Vertragsgestaltung hinaus – im regelmäßigen Turnus des Zielvereinbarungsprozesses Bedacht zu legen. 
 

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