Im Jahre 1998 hat der deutsche Gesetzgeber die Möglichkeit der Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien (sog. dual class shares) im Gesetz gestrichen. Aktuell kursieren auf nationaler und europäischer Ebene zwei Rechtsetzungsinitiativen zur gesetzlichen Wiedereinführung dieser Aktiengattung.

Was ist geplant und worum geht es
Nachdem die Europäische Kommission im Rahmen des von ihr verfolgten Listing Acts die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien bezogen auf den KMU- und Start-Up-Bereich vorsieht, findet sich im nunmehr veröffentlichten Referentenentwurf eines hiesigen Zukunftsfinanzierungsgesetzes (ZuFinG) ebenfalls die Möglichkeit zur Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien – und zwar für Namensaktien und nicht begrenzt auf reine Wachstumsunternehmen bzw. Start-Ups. Bereits erste Kommentierungen zum Entwurf des ZuFinG, das als eines der „Prestige“-Projekte der Regierungskoalition gelten dürfte und auf eine Verbesserung des Kapitalmarktzugangs und der Attraktivität des hiesigen Finanzplatzes abzielt, zeigen, dass gerade das Thema Mehrstimmrechtsaktien besonders polarisiert. Zugegebener Maßen findet sich die Möglichkeit der Ausgabe dieser Aktiengattung auch bereits in den Rechtsordnungen zahlreicher anderer Länder. Insoweit würde die hiesige Implementierung zu einer Harmonisierung der gemeinschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich des Gesellschaftsrechts beitragen, andererseits aber den im deutschen Aktienrecht fundamentalen Grundsatz „one share, one vote“ in gewisser Weise konterkarieren.

Nach Maßgabe des Gesetzentwurfs des ZuFinG können Unternehmen ihren Alt- bzw. Bestandsaktionären (Gründer, Ideengeber, Friends & Familiy pp.) künftig vor bzw. mit Blick auf einen späteren Börsengang – also zum Zwecke der Eigenkapitalbeschaffung – hinsichtlich deren Aktien Mehrstimmrechte einräumen und zwar bis zu einem Anteil von maximal dem zehnfachen Stimmrecht. Ein Aktionär mit einem Aktienanteil von beispielsweise 3 % erhielte dann bis zu 30 % der Stimmrechte, die bei Beschlussfassungen in der Hauptversammlung ausgeübt werden können. Ein solches „Vehikel“ soll einem vermehrten Aufkommen von Börsengängen kleiner Aktiengesellschaften Vorschub leisten und das hiesige Kapitalmarktgeschehen stimulieren. Auch nach einem Börsengang bleiben die Mehrstimmrechte der betreffenden Aktien grundsätzlich zehn Jahre lang bestehen (sog. sunset clause). Ohne Frage hat man es hierbei mit einem graduellen Auseinanderfallen von Aktienbesitz und Stimmrecht und damit einem nicht unerheblichen Kontrollverlust auf Seiten der Investoren und Kapitalgeber zu tun, die einen Börsengang wirtschaftlich erst möglich machen bzw. gemacht haben. Argumente für und gegen die gesetzliche Einführung solcher Mehrstimmrechtsaktien lassen sich zweifelsohne zahlreich finden – wobei die Ausgestaltung eines klaren gesetzlichen Rahmens („eindeutige Spielregeln“) nebst der rein fakultativen Möglichkeit der Verwendung einer solchen Aktiengattung generell eher ein „Mehr“ an Handlungsfreiheit sowohl auf Unternehmens- als auch auf Investorenseite schafft. Nicht zuletzt können skeptische Investoren ja bei derart agierenden Gesellschaften auch auf ein finanzielles Engagement verzichten und sind nicht gezwungen, hier eine entsprechende Beteiligung einzugehen. Ergo danach: Der Markt und die Nachfrage nach solchen Aktien werden es schon richten.

Ausblick und Praxistipp
Trotz der zu erwartenden kontroversen Diskussionen zu Mehrstimmrechtsaktien im weiteren Gesetzgebungsverfahren des ZuFinG, dürfte es dort wohl nicht mehr um die Frage des Ob, sondern nur noch um die genauen rechtlichen Rahmenbedingungen gehen, die bei Inanspruchnahme einer solchen Aktiengattung dann künftig gelten. Hier – wie im Übrigen auch im Rahmen des Listing Acts der Kommission – dürfte ein „Zurückstellen der Uhren“ schon nicht mehr in Betracht kommen. Auch mit einem übermäßig langen Gesetzgebungsverfahren für das ZuFinG dürfte wohl eher nicht zu rechnen sein. Vor diesem Hintergrund sollten sich die betreffenden Unternehmen, die mittelfristig mit der Aufnahme von Eigenkapital am Finanzmarkt bzw. im Wege eines IPO „liebäugeln“, schon frühzeitig mit der Möglichkeit der Aufnahme von Investoren unter Beibehaltung eines gewissen Stimmrechtsvolumens der Unternehmensgründer bzw. Altaktionäre mittels Einbeziehung von Mehrstimmrechtsaktien vertraut machen und die erforderlichen Weichenstellungen vornehmen. Unternehmen, die hier früh „in den Startlöchern stehen“ und ein entsprechendes Marketing betreiben, dürften dabei durchaus den Ruf eines „Trendsetters“ erlangen und ein erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit und potentieller Kapitalgeber auf sich ziehen.

Während das Thema Mehrstimmrechtsaktien eher für die Gruppe der Altaktionäre von Vorteil sein dürfte, findet sich im ZuFinG auch noch eine Regelung, die in entgegengesetzter Richtung wirkt. Geplant ist nämlich weiterhin, die Rahmenbedingungen des vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses im Rahmen der Ausgabe neuer Aktien durch die Gesellschaft auszuweiten. Während ein solcher Bezugsrechtsausschluss ohne sachlichen Grund bislang auf 10 Prozent des Grundkapitals beschränkt ist, soll diese Schwelle künftig auf 20 Prozent heraufgesetzt werden. Hiermit ist die erhöhte Gefahr einer „Verwässerung“ der Beteiligung der Alt- bzw. Bestandsaktionäre verbunden. – Last but not least ist im Rahmen des ZuFin auch noch die Möglichkeit der künftigen Ausgabe und Übertragung elektronischer Aktien vorgesehen. Hier baut der Gesetzgeber konsequent die Rahmenbedingungen aus, die bereits im Jahre 2021 mit dem Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) auf den Weg gebracht worden sind, aber bislang noch nicht für Aktien, sondern lediglich für Schuldverschreibungen, Pfandbriefe und bestimmte Anteile an Sondervermögen gelten. 

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