Im Juli letzten Jahres hat der Gesetzgeber im Wege der Änderung des Aktiengesetzes die Möglichkeit geschaffen, dass Aktiengesellschaften auch nach Beendigung der Pandemie bzw. der übergangsweisen Pandemiegesetzgebung die Möglichkeit haben, ihre Hauptversammlungen künftig rein virtuell (oder hybrid mit virtuellem Anteil) abzuhalten. Reine Präsenz-Hauptversammlungen bleiben daneben selbstverständlich auch möglich – und dürften in der nächsten Zeit zunächst wohl auch wieder „state of the art“ sein.

Leitidee des neuen Rechts ist es, die Ausübung der Aktionärsrechte (insbesondere Auskunftsrecht, Rederecht, Antragsrecht, Stimmrecht und Recht zum Widerspruch gegen Beschlüsse der Hauptversammlung) auch bei Durchführung virtueller Hauptversammlungen uneingeschränkt sicherzustellen. Zentrale Vorschriften sind dabei die §§ 118a und 130a Aktiengesetz (AktG), in deren Rahmen die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen zum Schutz der Aktionäre an verschiedene Voraussetzungen geknüpft wird. Alles in allem werden virtuelle Hauptversammlungen und Präsenz-Hauptversammlungen dabei einander materiell-rechtlich „angenähert“.

Übergangsregelung 2023 beachten
Hinsichtlich der Abhaltung virtueller Hauptversammlungen greift zunächst noch eine Übergangsregelung. Danach können Aktiengesellschaften ihre Hauptversammlungen auch ohne Satzungsänderung in virtueller Form nach Maßgabe des neuen Rechts abhalten, wenn eine Einberufung bis zum 31.08.2023 stattfindet und ein entsprechender Vorstandsbeschluss nebst Zustimmung des Aufsichtsrats hierzu vorliegt.

Zügige Satzungsänderung geboten
Zentrales „Scharnier“ für die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen über die genannte Übergangsregelung hinaus ist die Satzung der Gesellschaft. Diese kann künftig die generelle Abhaltung virtueller Hauptversammlungen vorsehen oder den Vorstand der Gesellschaft zu einer solchen Möglichkeit ermächtigen. Für beide Möglichkeiten sieht das Gesetz eine Befristung der jeweiligen Regelung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren vor. Die Disposition über das künftige Format der Hauptversammlung obliegt mithin zuvorderst den Aktionären, die über entsprechende Satzungsänderungen mit entsprechend qualifizierter Mehrheit zu befinden haben.

In jedem Fall empfiehlt es sich, das Thema Satzungsänderung zum Zwecke der Ermöglichung künftiger virtueller Hauptversammlungen zügig bzw. im Rahmen der diesjährigen Hauptversammlung „anzugehen“ – und sei es auch nur aus dem Grunde, für die nächste Zeit eine entsprechende Flexibilität zu generieren. Alles in allem dürfte es sich wohl empfehlen, dabei vorrangig von der Möglichkeit einer entsprechenden Vorstandsermächtigung Gebrauch zu machen und von der Aufnahme einer „starren“ Satzungsregelung, Hauptversammlungen generell ohne physische Präsenz der Aktionäre abzuhalten, Abstand zu nehmen.

Dauer der Befristung genau erwägen
Soweit eine satzungsgemäße Vorstandsermächtigung auf einen Zeitraum von längstens fünf Jahre (nach Eintragung der Satzungsänderung) zu befristen ist und danach als Satzungsregelung dann „erneuert“ werden müsste, stellt sich die Frage, ob die genannten fünf Jahre sogleich „ausgenutzt“ werden sollten. Hierfür spricht sicherlich der Umstand, dass jede spätere Verlängerung bzw. Erneuerung der Vorstandsermächtigung erneut der Befassung der Hauptversammlung nebst entsprechender Satzungsänderung und Handelsregistereintragung bedarf. Andererseits zeigt sich, dass eine Reihe von professionellen Stimmrechtsberatern und –vertretern  (sog. Proxy Advisors) – hierzu zählen namentlich der BVI, Glass Lewis, ISS, DWS und die SdK – in ihren aktuellen Abstimmungsrichtlinien („Investorenerwartungen“) darauf drängen, eine zeitliche Befristung der entsprechenden Satzungsregelungen von zunächst nicht länger als zwei bis drei Jahren vorzusehen. „Worst case“ wäre hier eine Nichtentlastung von Vorstand und/oder Aufsichtsrat für den Fall, dass die Verwaltung der Hauptversammlung eine Satzungsänderung mit einer entsprechend längeren Befristung bzw. der „Ausschöpfung“ der vollen fünf Jahre empfiehlt. Dies sollten die Gesellschaften im Rahmen der Vorbereitung ihrer diesjährigen Hauptversammlungen unbedingt ins Kalkül ziehen.

Weiter Adressatenkreis
Neben Aktiengesellschaften erfasst das neue Gesetz im Übrigen auch Versammlungen verwandter Rechtsformen, wie namentlich Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA), Europäische Aktiengesellschaften (SE) und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG). Auch für Generalversammlungen von Genossenschaften treten nunmehr neue Regelungen zu digitalen Versammlungsformen in Kraft.

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