Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Rechtsfrage vorgelegt, deren Beantwortung weitreichende Folgen für die Behandlung von Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz bei grenzüberschreitenden Fällen haben könnte. Der EuGH hat zu entscheiden, ob das deutsche Insolvenzanfechtungsrecht für Gesellschafterdarlehen (§ 135 InsO) auch auf Gesellschafterdarlehen anzuwenden ist, die ein ausländischer Gesellschafter aus einem EU-Staat mit einem weniger strengen Maßstab für die Anfechtung von Zahlungen auf Gesellschafterdarlehen seiner deutschen Tochtergesellschaft gewährt hat. Konkret geht es hierbei um die Frage, ob die Rückzahlungen solcher Darlehen durch die Tochtergesellschaft, die innerhalb eines Jahres vor ihrem Insolvenzantrag geleistet wurden, von dem ausländischen Gesellschafter zurückgefordert werden können.

Der Fall

Der Sachverhalt des an den EuGH verwiesenen Falls lautet – für die Zwecke dieses Beitrags etwas vereinfacht – wie folgt: Eine Gesellschaft mit Sitz in Österreich (nachfolgend: Klägerin) gewährt ihrer deutschen Tochtergesellschaft (nachfolgend: Schuldnerin) im Jahre 2015 ein Darlehen, für welches die Anwendbarkeit österreichischen Rechts vereinbart wird. Die Schuldnerin leistet in der Folgezeit Zins- und Tilgungszahlungen und stellt im Jahr 2016 einen Insolvenzantrag. Die Klägerin meldet sodann ihre offenen Forderungen aus dem Darlehensvertrag zur Insolvenztabelle an und möchte diese auch gerichtlich feststellen lassen. Der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin fordert hingegen widerklagend die Zins- und Tilgungszahlungen unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung zurück.

Die rechtliche Ausgangslage – Behandlung von Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz

Im deutschen Insolvenzrecht regelt §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 174 Abs. 3 InsO, dass Forderungen auf Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen grundsätzlich nicht zur Insolvenztabelle angemeldet werden können und dass im Falle einer Insolvenz nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO innerhalb eines Jahres vor Stellung des Insolvenzantrags erfolgte Tilgungs- und Zinszahlungen angefochten werden können.

Hat ein Insolvenzverfahren jedoch neben dem deutschen auch einen Bezug zum Recht eines anderen EU-Staates, der weniger strenge Regelungen für die Behandlung von Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz aufstellt, stellt sich die Frage, ob das deutsche Insolvenzrecht anwendbar ist. Die EUInsVO stellt für das anwendbare Recht in Art. 7 und 3 EUInsVO den Grundsatz auf, dass das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats anwendbar ist, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Insbesondere soll dieses Recht nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 lit. m) EUInsVO auch regeln, welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch in Art. 16 EUInsVO eine wichtige Ausnahme

„Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe m findet keine Anwendung, wenn die Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, nachweist, dass

a) für diese Handlung das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staates der Verfahrenseröffnung maßgeblich ist und

b) diese Handlung im vorliegenden Fall in keiner Weise nach dem Recht dieses Mitgliedstaats angreifbar ist.“

Hintergrund dieser Regelung ist der Vertrauensschutz: Eine nach einer bestimmten Rechtsordnung vorgenommene Handlung soll nicht nachträglich durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach dem Recht eines anderen Staates unwirksam werden.

Die Entscheidung des BGH

Im Hinblick auf die Anmeldung der Forderungen der Klägerin zur Tabelle gilt nach dem BGH unproblematisch deutsches Recht, da die Schuldnerin den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen (Center of Main Interest – COMI) in Deutschland hat (vgl. Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 lit. g. i.V.m. Art. 3 Abs. 1 EUInsVO). Die Darlehensrückzahlungsforderung kann daher nach §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 174 Abs. 3 InsO nicht zur Insolvenztabelle angemeldet werden, selbst wenn das auf das Gesellschafterdarlehen anwendbare österreichische Recht eine Anmeldung zur Tabelle zulässt.

Bezüglich der Insolvenzanfechtung der Tilgungs- und Zinszahlungen bezog der BGH zwar klar Position für die Anwendung von § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, legte aber dem EuGH die Frage der Anwendbarkeit von Art. 16 EUInsVO vor, da das österreichische Insolvenzrecht eine Anfechtung von Rückzahlungen auf Gesellschafterdarlehen weniger streng regelt als das deutsche Insolvenzrecht.

Der BGH argumentierte, dass Art. 16 EUInsVO nur dem Schutz von Personen diene, die berechtigterweise darauf vertrauen, dass die fragliche Handlung zur Zeit Ihrer Vornahme einem anderen Recht als dem des Mitgliedsstaates der Verfahrenseröffnung unterliegt. Diese Gutgläubigkeit habe ein Gesellschafter, der die Verhältnisse seiner Tochtergesellschaft kennen müsse, aber gerade nicht. Durch eine Rechtswahl im Darlehensvertrag seien zwar schuldrechtliche Regelungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter erfasst, nicht aber die an das Recht am Sitz der Gesellschaft anknüpfenden Regelungen des nationalen Insolvenzrechts über den Nachrang von Forderungen.

Mögliche Auswirkungen einer Entscheidung des EuGH

Sollte der EuGH entgegen der Ansicht des BGH entscheiden, hätte dies weitreichende Folgen für die Gestaltungspraxis für Gesellschafterdarlehen: Ausländische Gesellschafter, die ihrer deutschen Tochtergesellschaft ein Darlehen gewähren, wären deutlich bessergestellt als inländische Gesellschafter, jedenfalls soweit das ausländische Insolvenzrecht weniger strenge Anfechtungsregelungen vorsieht als das deutsche Insolvenzrecht. 

Dies erscheint ein eher zufälliges Ergebnis darzustellen. Es könnte zu Gestaltungspraktiken führen, in denen deutsche Gesellschafter stets eine ausländische Zwischenholding zwischen sich und ihre deutschen Tochtergesellschaft schalten, nur um die Anfechtung von Darlehensrückzahlungen nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu vermeiden. 

Insbesondere vor dem Hintergrund der massiven Auswirkungen auf die gesellschaftsrechtliche Gestaltungspraxis darf das Urteil des EuGH in dieser Sache mit Spannung erwartet werden.
 

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