Der erste Standard – ESRS 1 (Allgemeine Anforderungen) - der European Sustainability Reporting Directive (ESRS) ist einer der zwei generellen Standards der ESRS neben den themenbezogenen Standards und den (noch nicht veröffentlichten) sektorspezifischen Standards. Damit ist ESRS 1 von allen berichtspflichtigen Unternehmen umzusetzen. Es handelt sich bei ESRS 1 jedoch nicht um einen eigenständig zu berichtenden Standard. Vielmehr ist ESRS 1 eine „Anleitung“, die grundlegende Rahmenbedingungen für die Nachhaltigkeitsberichtserstattung nach ESRS aufsetzt. ESRS 1 geht auf die den ESRS zugrunde liegenden Regeln, Prinzipien und Konzepte ein (wie z.B. die doppelte Wesentlichkeit, die Wertschöpfungskette, die Darstellung von Nachhaltigkeitsinformationen und Übergangsbestimmungen), auf Basis derer die Nachhaltigkeitsberichterstattung erfolgen muss. 

Kernelemente von ESRS 1

Doppelte Wesentlichkeit  

Die CSRD führt den Grundsatz der doppelten Wesentlichkeit als Grundlage der Nachhaltigkeitsberichterstattung ein. Unternehmen müssen die für sie relevanten Nachhaltigkeitsaspekte nicht mehr nur auf der Grundlage von finanzieller Wesentlichkeit, also der Identifizierung und Bewertung von Risiken und Chancen, bewerten. Vielmehr erfordert die doppelte Wesentlichkeit, dass neben der finanziellen Wesentlichkeit die Wesentlichkeit der Auswirkungen betrachtet wird, d.h. die Auswirkungen des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft identifiziert und bewertet werden. Nach dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit kann ein Nachhaltigkeitsaspekt wesentlich sein, wenn es aus der Perspektive der finanziellen Wesentlichkeit und / oder der Perspektive der Wesentlichkeit der Auswirkungen als wesentlich bewertet wird.   

Interessensträger und ihre Rolle in der Wesentlichkeitsanalyse 

ESRS 1 stellt klar, dass die Einbindung von Interessensträgern ein integraler Bestandteil der Wesentlichkeitsanalyse und damit der Nachhaltigkeitsberichterstattung ist. Hierbei ist zu beachten, dass Interessensträger nicht nur Einzelpersonen oder Gruppen sind, die durch die eigenen Geschäftstätigkeiten eines Unternehmens betroffen sein könnten. Vielmehr sind es all jene, die durch die Tätigkeiten des Unternehmens und seiner direkten und indirekten Geschäftsbeziehungen entlang seiner Wertschöpfungskette betroffen sein könnten. Statt einen direkten Austausch mit Interessensträgern zu verfolgen ist es auch zulässig, mit glaubwürdigen Stellvertretern (Proxies) zusammenzuarbeiten. Die Einbindung der Perspektiven der Interessensträger ist insbesondere bei der Identifizierung und Bewertung von Auswirkungen, Risiken und Chancen zu berücksichtigen.

Wertschöpfungskette 

CSRD / ESRS  fordern die Identifizierung und Offenlegung wesentlicher Auswirkungen, Risiken und Chancen über Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte  entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das umfasst neben den eigenen Geschäftstätigkeiten auch die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette sowie weitere Geschäftsbeziehungen, die unmittelbar mit den Geschäftstätigkeiten, Produkten und Dienstleistungen eines Unternehmens bzw. einer Unternehmensgruppe in Verbindung stehen. Hierunter fallen auch assoziierte Unternehmen (Beteiligungen) sowie Gemeinschaftsunternehmen. Im Falle einer Unternehmensgruppe ist zu beachten, dass der eigene Geschäftsbereich aus der Konzernmutter und allen Tochtergesellschaften besteht (egal ob diese finanziell im Konzernabschluss konsolidiert werden oder nicht) und bei der Betrachtung von Auswirkungen, Risiken und Chancen sowohl Wertschöpfungskette und Geschäftsbeziehungen der Konzernmutter als auch der Tochtergesellschaften angemessen berücksichtigt werden müssen. 

Qualitative Anforderungen an die Berichterstattung

ESRS 1 macht konkrete Angaben zur Qualität der Berichterstattung. Die grundlegenden Merkmale an Informationen in der Berichterstattung sind Relevanz und wahrheitsgetreue Darstellung sowie Vergleichbarkeit, Überprüfbarkeit und Verständlichkeit. Bei der inhaltlichen Gestaltung des Nachhaltigkeitsberichts sind die Zeithorizonte zu beachten: der Nachhaltigkeitsbericht hat sich auf denselben Zeitraum wie der finanzielle Bericht zu beziehen. Um die Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsberichte zu ermöglichen bzw. den Fortschritt eines Unternehmens über die Jahre zu dokumentieren, ist normalerweise ein Basisjahr zu benennen. Bei der Identifizierung von Auswirkungen, Risiken und Chancen sind die Definition von kurz- (Zeitraum der Berichterstattung), mittel- (bis zu 5 Jahren) und langfristig (mehr als 5 Jahre) der ESRS zu berücksichtigen. Sofern ein Unternehmen sich auf Schätzwerte bezieht (insbesondere in dem Fall, dass konkrete Informationen zur Wertschöpfungskette nicht vorliegen), legt das Unternehmen Informationen vor, die den Nutzern der Nachhaltigkeitsberichterstattung ermöglichen, die wichtigsten Unsicherheiten zu verstehen. 

Übergangsbestimmungen 

ESRS 1 führt Übergangsbestimmungen für bestimmte Offenlegungspflichten für die ersten 3 Jahre der Berichterstattung ein. Die Übergangsbestimmung in Bezug auf unternehmensspezifische Angaben ist für Unternehmen relevant, deren wesentliche Auswirkungen, Risiken und Chancen nicht angemessen im Rahmen der verfügbaren Angabepflichten und Datenpunkte berichtet werden können. In den ersten 3 Jahren der Berichterstattung nach ESRS sind diese nur begrenzt zu berichten. Hier können Unternehmen zum einen Angaben aufnehmen, die sie schon in früheren Berichtszeiträumen gemacht haben. Zum anderen können die berichteten Inhalte in den themenspezifischen ESRS durch geeignete unternehmensspezifische Angaben ergänzt werden. Eine weitere Übergangsbestimmung befasst sich mit der Wertschöpfungskette, für die die Regel „comply or explain“ in den ersten 3 Jahren der Berichterstattung gilt: wenn Unternehmen nicht alle erforderlichen Informationen zur Wertschöpfungskette berichten können, erläutert das Unternehmen seine Anstrengungen, Gründe sowie Maßnahmen zur Informationsbeschaffung. Hinsichtlich Maßnahmen und Ziele gilt, dass Unternehmen sich auf intern verfügbare Informationen beziehen können. Hinsichtlich Kennzahlen können Unternehmen Angaben zur Wertschöpfungskette auslassen, es sei denn diese werden durch andere EU Verordnungen gefordert. Eine weitere Übergangsbestimmung befasst sich mit der Darstellung von Vergleichsinformationen. Im ersten Jahr sind Unternehmen nicht verpflichtet, die nach ESRS geforderten Vergleichsinformationen zu berichten. Eine letzte Übergangsbestimmung befasst sich mit einer Liste von Angabepflichten und Datenpunkte die im ersten Jahr bzw. in den ersten 3 Jahren exkludiert werden können. Die hierunter fallenden Ausnahmen betreffen verschiedene Standards und sind von dem berichtspflichtigen Unternehmen genau auf Anwendbarkeit zu studieren. Eine besonders markante Ausnahmeregelung betrifft Unternehmen mit bis zu 750 Angestellten. Unternehmen, die unter diese Gruppe fallen, verfügen über weitflächige Einschränkungsmöglichkeiten in der themenspezifischen Berichterstattung in den ersten 2 Jahren der Berichterstattung: ESRS E4 (Biologische Vielfalt und Ökosysteme) kann in den ersten 2 Jahren, ESRS S1 (Arbeitskräfte des Unternehmens) im ersten Jahr, S2 (Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette) in den ersten 2 Jahren, ESRS S3 (Betroffene Gemeinschaften) in den ersten 2 Jahren und ESRS S4 (Verbraucher und Endnutzer) in den ersten 2 Jahren ausgelassen werden.

Herausforderungen 

Die in ESRS 1 eingeführten allgemeinen Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung sind komplex und ein umfassendes Verständnis der Anforderungen erfordert eine tiefgreifende und frühzeitige Auseinandersetzung mit den eingeführten Regeln, Prinzipien und Konzepten. Befassen Sie sich daher frühzeitig mit den Inhalten von ESRS 1 und planen Sie insbesondere für die doppelte Wesentlichkeitsanalyse genügend Zeit ein. 

Chancen 

Die angemessene Umsetzung der Kernprinzipien von ESRS 1 ist ressourcenintensiv, ermöglicht jedoch langfristig einen Kosten- und Wettbewerbsvorteil: Unternehmen, die schon im ersten Jahr die Anforderungen von ESRS 1 angemessen umsetzen, können sich in den Folgejahren auf die Umsetzung bzw. Weiterentwicklung der berichteten Konzepte, Maßnahmen und Ziele konzentrieren und darauf aufbauend die dargestellten Berichtinhalte auf Aktualität prüfen und anpassen. 
 

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