Mit dem Standard ESRS G1 zur Unternehmensführung schließt sich der Kreis der themenspezifischen European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Nach den Umweltstandards (E1–E5) und den sozialen Standards (S1–S4) bildet G1 den abschließenden Baustein in der ESRS-Reihe. Der Fokus dieses Standards liegt auf der Offenlegung der unternehmensinternen Steuerungs- und Kontrollmechanismen. Ziel ist es, aufzuzeigen, wie das Unternehmen seine Unternehmensethik, -kultur und Führungsstrukturen ausgestaltet, wie es mit seinen Lieferanten zusammenarbeitet, Korruption verhindert und seinen politischen Einfluss verantwortet.
ESRS G1 verlangt unter anderem Angaben dazu, wie das Unternehmen Hinweise auf rechtswidriges Verhalten behandelt, wie Hinweisgebende geschützt werden, ob Maßnahmen zum Tierwohl bestehen, wie das Unternehmen mit Zahlungsverzug insbesondere gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) umgeht und ob sowie in welcher Form politische Lobbyarbeit betrieben wird. Die Angaben sollen es den Nutzer:innen der Nachhaltigkeitsberichterstattung ermöglichen, die Steuerungslogik, Prozesse und die tatsächliche Umsetzung unternehmerischer Verantwortung besser zu verstehen. Die Berichtspflichten müssen im Zusammenhang mit ESRS 1 (Allgemeine Anforderungen) und ESRS 2 (Allgemeine Angaben) gelesen werden und sind nur dann verpflichtend, wenn sie in der doppelten Wesentlichkeitsanalyse als relevant eingestuft wurden.
1. Governance
Unternehmen müssen offenlegen, welche Rolle die Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane (z. B. Vorstand, Geschäftsführung, Aufsichtsrat) bei der Steuerung der unternehmensinternen Governance spielen. Dabei geht es insbesondere darum, ob und inwiefern diese Gremien sich mit ethischen Fragen, internen Richtlinien, Hinweisgeberschutz, Korruptionsprävention und weiteren Governance-Themen befassen – sowie über welches Fachwissen sie in diesem Kontext verfügen.
2. Management der Auswirkungen, Risiken und Chancen
Ein zentrales Berichtselement ist die Beschreibung der Verfahren zur Ermittlung und Bewertung von wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen in Bezug auf die Unternehmensführung. Dabei sollen Kriterien wie Standort, Tätigkeitsbereich oder Transaktionsstruktur berücksichtigt werden. Unternehmen müssen darlegen, ob sie über Konzepte verfügen, um Risiken wie Korruption oder ethisch fragwürdige Geschäftspraktiken zu erkennen, zu managen und kontinuierlich zu verbessern.
Zudem soll beschrieben werden, wie die Unternehmenskultur gefördert wird, bspw. ob ein Verhaltenskodizes vorliegt, Schulungen durchgeführt, Mechanismen zur Meldung und Untersuchung von Fehlverhalten vorliegen und wie der Schutz von Hinweisgebenden sichergestellt wird.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Management der Lieferantenbeziehungen. Unternehmen müssen darlegen, wie sie Risiken in der Lieferkette identifizieren, ob sie soziale und ökologische Kriterien bei der Lieferantenauswahl anwenden und wie sie faire Zahlungsbedingungen sicherstellen – insbesondere für KMU.
3. Kennzahlen und Ziele
Zur quantitativen Einordnung sind Informationen über tatsächliche Fälle von Korruption oder Bestechung anzugeben. Dazu gehören z. B. Verurteilungen, verhängte Geldstrafen, disziplinarische Maßnahmen sowie Vertragsbeendigungen aufgrund entsprechender Verstöße. Auch laufende Gerichtsverfahren sind zu benennen – jedoch nur, wenn das Unternehmen oder eigene Mitarbeitende direkt involviert sind.
Bei der politischen Einflussnahme wird die Höhe der politischen Zuwendungen (finanziell oder als Sachleistung) aufgeschlüsselt nach Empfängergruppe und Region offengelegt. Ergänzend sollen Themen und Standpunkte der Lobbyaktivitäten beschrieben sowie Transparenzregistereinträge benannt werden.
Ebenfalls verpflichtend ist die Offenlegung der Zahlungspraktiken: Wie lange dauert es durchschnittlich, bis Rechnungen bezahlt werden? Welche Standardbedingungen gelten in Verträgen – und wie viele Abweichungen davon gibt es? Ziel ist es, Zahlungsstörungen und ihre potenziellen Auswirkungen insbesondere auf kleinere Geschäftspartner nachvollziehbar zu machen.
4. Herausforderungen
Die Anforderungen aus ESRS G1 sind umfassend und betreffen zentrale Unternehmensfunktionen wie Compliance, Einkauf, Recht und Kommunikation. Besonders herausfordernd ist der Aufbau transparenter Hinweisgebersysteme, die auch rechtlich allen Anforderungen genügen. Gleiches gilt für die Integration ethischer Standards in internationale Lieferketten – insbesondere wenn lokale Partner keine vergleichbaren Standards kennen oder anwenden. Auch die systematische Erfassung und Kommunikation von politischer Einflussnahme erfordert strukturelle Anpassungen und Transparenz auf Organisationsebene.
5. Chancen
Trotz des hohen Umsetzungsaufwands bietet ESRS G1 viele Chancen. Unternehmen, die Governance-Themen ernst nehmen, stärken Vertrauen bei Investoren, Mitarbeitenden und Geschäftspartnern. Eine gut verankerte Unternehmenskultur erhöht zudem die Mitarbeitendenbindung und verringert Risiken für Reputations- oder Finanzschäden. Verbesserte Zahlungspraktiken und faire Lieferantenbeziehungen schaffen nicht nur Resilienz, sondern sichern auch langfristige Partnerschaften.
6. Praxisbeispiel
Ein großes Handelsunternehmen im Lebensmitteleinzelhandel hat im Zuge der Umsetzung von ESRS G1 ein unabhängiges Hinweisgebersystem etabliert, das für interne und externe Stakeholder zugänglich ist – inklusive mehrsprachiger Ombudsstelle. Zudem wurden alle Führungskräfte im Einkauf zu Compliance-Themen geschult, mit Fokus auf Korruptionsvermeidung und faire Lieferbedingungen. Die Zahlungsziele für KMU wurden auf maximal 30 Tage verkürzt, um kleinen Lieferanten mehr Planungssicherheit zu geben.
Fazit
Mit dem ESRS G1 wird Unternehmensverantwortung greifbar: Ethik, Transparenz und Fairness sollen nicht nur in Leitbildern stehen, sondern aktiv gelebt und belegt werden. Als letzter Baustein der themenspezifischen ESRS-Reihe stellt G1 sicher, dass Unternehmensführung nicht als reines Kontrollinstrument, sondern als aktiver Hebel für nachhaltige Entwicklung verstanden wird. Damit schafft der Standard die Grundlage für eine glaubwürdige und zukunftsorientierte Governance im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung.