In dem am 05.12.2024 vom BAG entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob eine tarifvertragliche Regelung, nach der Überstundenzuschläge nur für Arbeitszeiten gezahlt werden, die über die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten hinausgehen, wirksam ist oder eine rechtswidrige Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten und zudem eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellen würde. Das BAG hatte am 28.10.2021 das Revisionsverfahren ausgesetzt und den EuGH um eine Vorabentscheidung ersucht. Es hatte in seinem Beschluss allerdings darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung, die streitgegenständlich Tarifvorschrift nicht zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung führen würde, weil die Überstundenzuschläge beiden Arbeitnehmern gezahlt würden, wenn die im Tarifvertrag festgelegte Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten würde.

Die Entscheidung des EuGH vom 29.7.2024:

Dieser vorläufigen Auffassung des BAG schloss sich der EuGH in seiner Entscheidung vom 29.7.2024 (C-184/22, C-185/22, NZA 2024, 1265-1270), allerdings nicht an und entschied, dass die streitgegenständliche Tarifvorschrift eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten im Sinne des § 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81/EG v. 15.12.1997 darstelle. Diese schlechtere Behandlung bedürfe eines besonderen Sachgrunds, der nicht allein darin bestehen könne, dass zum einen der Arbeitgeber davon abgehalten werden solle, Überstunden anzuordnen, die über die individuell in ihren Arbeitsverträgen vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen und zum anderen verhindern solle, dass Vollzeitbeschäftigte gegenüber Teilzeitbeschäftigten schlechter behandelt würden. Darüber hinaus wies der EuGH in seiner Entscheidung darauf hin, dass die Tarifregelung zu den Überstundenzuschlägen zudem eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellen würde, wenn erwiesen sei, dass durch diese Tarifregelung ein signifikant höherer Anteil von Personen weiblichen Geschlechts als Personen männlichen Geschlechts benachteiligt würden. Unerheblich sei, ob die Gruppe der durch die Regelung nicht benachteiligten Arbeitnehmer – also die Vollzeitbeschäftigten – gleichzeitig aus erheblich mehr Männern als Frauen bestehe.

Die Entscheidung des BAG vom 05.12.2024:

Nunmehr hat das BAG am 5.12.2024 (8 AZR 370/20, Pressemitteilung 34/24) abschließend und unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH entschieden, dass eine tarifvertragliche Regelung, die die Zahlung von Überstundenzuschlägen von der Überschreitung der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten abhängig macht, eine Schlechterbehandlung eines Teilzeitbeschäftigt wegen der Teilzeit darstelle und daher gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten gem. § 4 Abs. 1 TzBfG verstoße. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei. Fehlten solche sachlichen Gründe, würde zugleich eine verbotene mittelbare Diskriminierung wegen des (weiblichen) Geschlechts vorliegen, wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer beschäftigt werden. Das BAG hat daher nicht nur einen Anspruch auf die Überstundenvergütung zuerkannt, sondern auch eine Entschädigung zugesprochen, weil die tarifliche Regelung in rechtswidriger Art und Weise gegen das im AGG geregelte Diskriminierungsverbot verstoße.

Fazit:

Vor dem Hintergrund, dass Tarifverträge unmittelbar und zwingend bei tarifgebundenen Arbeitgebern gelten und zur Anwendung kommen, ist dringend zu empfehlen, die bestehenden Tarifvorschriften darauf zu überprüfen, ob es für Überstundenzuschläge darauf ankommen soll, ob die individuelle Arbeitszeit oder die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten wird. Im letzteren Fall sollte auf eine Anwendung des Tarifvertrags verzichtet werden, sofern kein besonderer Sachgrund für die Ungleichbehandlung von Teil- und Vollzeitbeschäftigten besteht bzw. nicht erkennbar ist. Denn für eine rechtswidrige Diskriminierung haften nicht die Tarifparteien, sondern allein der Arbeitgeber.
Bedauerlicherweise haben sowohl das BAG als auch der EuGH weitgehend offengelassen, wann ein sachlicher Grund vorliegt, der es rechtfertigen könnte, dass ein Überstundenzuschlag erst ab Überschreiten der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten gezahlt wird. Hier fragt es sich z.B. ob ein Zuschlag davon abhängig gemacht werden darf, dass es sich um Mehrarbeit handelt, also die in § 3 S. 1 ArbZG geregelte werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden überschritten wird. Die werktägliche Arbeitszeit soll Arbeitnehmer vor einer übermäßigen zeitlichen Beanspruchung schützen und der Gesetzgeber hat die Entscheidung getroffen, dass dies ab einer Überschreitung der werktäglichen Arbeitszeit von 8 Stunden anzunehmen ist. Arbeits- und Gesundheitsschutz haben beim EuGH offenbar keine Rolle bei der Frage gespielt, ob die Rechtswidrigkeit einer Ungleichbehandlung dadurch ausgeschlossen werden kann, dass erst oberhalb dieser 8 Stunden Zuschläge gezahlt werden sollen. Inwieweit das BAG diesen Aspekt in seiner Entscheidung berücksichtigt hat, ist nicht bekannt und es muss die Veröffentlichung des vollständig abgefassten Urteils abgewartet werden.
 

Dazu passende Artikel